PR 2661 – Anaree
nie gesehen hatte.
Sie überprüfte das Gespinst. Es funktionierte einwandfrei. Ihre perfekte Tarnung dürfte eigentlich niemand durchschauen.
Eigentlich.
Aber die Gestalt stand da, sah genau in ihre Richtung.
Schien durch das Gespinst zu schauen.
Obwohl Anaree wusste, dass die Bemühung sinnlos war und ihr nicht helfen würde, hielt sie die Luft an, wagte sich im Innern der tödlichen Waffe nicht zu rühren. Sie überprüfte noch einmal alle Anzeigen.
Der Kokon funktionierte einwandfrei.
Die flimmernde Gestalt konnte sie nicht sehen.
Und sah sie trotzdem, musterte sie aus zusammengekniffenen Augen.
Sie durchschaut das Hypergespinst!, dachte Anaree.
»Keine Angst«, sagte die Gestalt beruhigend mit sonorer Stimme. »Ich will dir nichts Böses. Ich bin genauso ein Gefangener wie du.«
»Ich bin keine Gefangene«, widersprach Anaree. »Ich bin aus freiem Willen hier.«
Die Gestalt lächelte schwach.
»Wer bist du?«, fragte Anaree. »Und wieso kannst du mich sehen?«
»DAN, der Bordrechner der LEUCHTKRAFT. Und als solcher verfüge ich über gewisse Möglichkeiten.«
»Dann wirst du mich an die Morgenschwester verraten?«
»Aber nein. Wie ich schon sagte, ich bin genauso ein Gefangener wie du. Wie die Morgenschwester. Wie wir alle hier an Bord der LEUCHTKRAFT.«
Während Anaree noch über die Bedeutung dieser Worte nachdachte, wurde das Flimmern, das den Humanoiden umgab, schwächer, ließ schließlich ganz nach, und sie glaubte, ihren Augen nicht trauen zu können.
Sie hatte diese Person schon einmal gesehen ... oder zumindest jemanden, der ihr sehr ähnlich sah. Der Humanoide vor ihr war jung, hochgewachsen, von schlanker, fast schon hagerer Statur, mit dunkelblauen Augen und rotblondem Haar.
»Ich kenne dich«, sagte Anaree.
Täuschte sie sich, oder zeigte der junge Mann vor ihr zum ersten Mal eine eindeutige Reaktion? So etwas wie ... Betroffenheit? Besorgnis?
»Nein«, sagte er. »Du kennst mich nicht, kannst mich nicht kennen. Ganz bestimmt nicht. Ich bin eine Prophezeiung. Ein Rätsel. Ein Schatten der Vergangenheit.«
Anaree verstand nicht, konnte mit diesen ominösen Worten nicht das Geringste anfangen. »Was meinst du damit?«
»DAN ist eins, und DAN ist zwei. Die erste Hälfte und gleichzeitig auch die zweite. Ich war einmal zwei, und heller ist mein Licht nie erstrahlt. Alles andere danach war nur ein Abklatsch. Ich war das helle Licht und die dunkelste Finsternis. Und einiges dazwischen. Ich bin gestorben und missbraucht worden. Und nun bin ich gefangen und werde erneut missbraucht. Ich will meine Freiheit zurückerlangen, doch wenn ich sie bekomme, wird sie mein Tod sein.«
»Wieso dein Tod? Kann ich dir helfen?«, fragte Anaree. »Und kannst du mir helfen?«
Bordrechner DAN lachte leise auf. »Nein. Helfen kann mir nur einer. Und das bist nicht du. Oder kannst du mich nach Anthuresta bringen?«
»Anthuresta?« Die Morgenschwester hatte ihr schon viel Wissen vermittelt, aber zweifellos eine gewisse Auswahl getroffen. Dieser Begriff sagte Anaree nichts.
»Arme Proto-Enthonin«, sagte die humanoide Gestalt von DAN. »Du weißt nichts. Du weißt nicht, was Anthuresta ist, du weißt nicht, was dort vielleicht auf mich wartet, du weißt nicht, was die Morgenschwester für dich vorgesehen hat. Mein Schicksal ist schlimm, aber deins ist schlimmer. Du tust mir leid, denn ich habe wenigstens eine Spur Hoffnung. Du aber nicht mehr. Dein Schicksal ist besiegelt. Ich hätte dich gern als Verbündete gewonnen, aber du bist tot. Nun muss ich auf einen anderen warten ...«
Die humanoide Gestalt hielt inne, sah sich besorgt um. »Das Kaninchen!«, flüsterte sie. »Misstraue dem Kaninchen, auch wenn es freundlich zu dir zu sein scheint. Das Kaninchen ist der Feind.«
»Das Kaninchen habe ich schon gesehen.« Anaree nickte. »Es kam mir ... unheimlich vor.«
»Vielleicht können wir uns doch gegenseitig helfen«, flüsterte die Gestalt. »Wenn du nicht verrätst, dass du mich gesehen hast, werde ich nicht verraten, dass ich dich gesehen habe. So ist uns beiden geholfen.«
»Einverstanden«, sagte Anaree. »So wollen wir es halten.«
DAN musterte sie skeptisch. »Ich möchte dir beweisen, dass ich es ernst meine«, sagte er. »Ich begebe mich damit nicht in deine Hand, niemand wird nachvollziehen können, dass ich dir die Information gegeben habe. Aber du wirst wissen, dass ich es ernst meine.«
»Ich verstehe dich nicht.«
Vor Anaree entstand ein UHF-Fenster. DAN zeigte darauf und löste
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