PR 2661 – Anaree
arbeiten sollte. Ein Tisara erwies sich als angesehener Diplomat, der nun keinen Frieden zwischen den beiden verfeindeten Galaxien Jaune und Giallo mehr schaffen konnte, eine Wic konnte kein Medikament gegen die Zentrumspest von Findeic entwickeln, ein ...
»Aber glaube nicht«, riss M'ian Mor sie aus den düsteren Gedanken, »dass du damit schon fertig bist und den Rest des Tages bei deinem Volk oder an den Terminals verbringen kannst. Degenfechten, Betonung auf Parade mit Riposte, Filo und Sforza, jeweils eintausend Wiederholungen der Übungen. Ich behalte dich im Auge. Worauf wartest du?«
Er machte eine herrische Handbewegung, rief ein UHF-Fenster auf und trat hindurch.
Anaree öffnete den Waffenschrank und wählte einen programmierten Holo-Gegner aus. Doch sie aktivierte ihn nicht.
Wenn sie »bei ihrem Volk« war, wie M'ian Mor so vorwurfsvoll angemerkt hatte, machte sie sich zumeist mit dem geraubten Sternsaphir vertraut. Sie konnte immer besser mit dem seltsamen Objekt umgehen, hatte es stundenlang am Flussufer studiert und mittlerweile erfasst, dass es gewaltige Kräfte barg. Kräfte, die sie wahrscheinlich gar nicht richtig beherrschen konnte, sollten sie jemals spontan freigesetzt werden.
Aber es fiel ihr mittlerweile leicht, den Übungsraum zu manipulieren. Niemand würde bemerken, dass sie ihn verließ. Das Juwel erzeugte ein Duplikat von ihr, das einer oberflächlichen Überprüfung standhielt. Und draußen verlieh das Kampfkokon-Gespinst ihr eine Unsichtbarkeit, die selbst die Instrumente der LEUCHTKRAFT täuschte.
Sie öffnete ein Fenster und verließ den Übungsraum. Dabei war sie sich im Klaren darüber, dass sie nicht aus freiem Willen handelte.
Ihre ungestillte, auch weiterhin nagende Neugier ließ ihr keine andere Wahl.
*
Trotz aller Streifzüge durch das Schiff gelang es ihr nicht ansatzweise, die Geheimnisse der LEUCHTKRAFT zu entschlüsseln. Das Schiff verwirrte sie stets von Neuem. Sie versuchte, alle Eindrücke aufzunehmen, doch das gelang ihr nie. Der Walzenraumer blieb ihr ein Rätsel. Die Realität an Bord schien sich Sekunde für Sekunde zu verändern.
Manchmal führten die Fenster, die sie öffnete, in kleine Welten wie die des Tagvolks. Manchmal in völlig fremdartige Umgebungen, in der die Naturgesetze keinerlei Wirkungen zu haben schienen. Sie war stets darauf bedacht, dann sofort wieder umzukehren.
Und manchmal führten sie in Gefilde, die ihre Sinne so problemlos erfassen konnten wie den Übungsraum. Dort hielt sie sich am liebsten auf, denn an diesem Ort konnte sie am meisten in Erfahrung bringen, gelegentlich auf Terminals zurückgreifen, die ihr Verbindungen mit Rechnern ermöglichten. Die wiederum Wissen enthielten, das die Morgenschwester ihr nicht zur Verfügung gestellt hatte, aus welchen Gründen auch immer.
Als sie solch ein Terminal aktivierte, kam ihr eine Idee. Wäre es nicht interessant, einmal herauszufinden, was die Morgenschwester tat, wenn sie Anarees Dienste nicht benötigte?
Der Rechner erteilte ihr bereitwillig Auskunft über den Aufenthaltsort der Göttin des Tagvolks: ein Konferenzraum, gar nicht mal weit oder auch unfassbar weit entfernt, denn Entfernungen hatten an Bord des Raumschiffs LEUCHTKRAFT genauso wenig Bedeutung wie die Zeit.
Anaree rief ein Fenster auf, das sie in die Nähe des Konferenzraums brachte. Zu ihrer Überraschung war der Raum völlig abgeschirmt. Niemand kam hinein, niemand konnte auch nur einen Blick hineinwerfen, nicht einmal der Bordrechner.
Aber ihr war es möglich. Sie rotierte in den Hyperraum. Die Morgenschwester war vorsichtig gewesen, aber so vorsichtig nun auch wieder nicht. Solch einen Schutz hatte sie nicht für nötig befunden.
Sie fand die Göttin des Tagvolks in einem Gespräch mit einem Humanoiden. Er war Anaree nicht bekannt, sie hatte ihn nie zuvor gesehen, doch sie erkannte auf den ersten Blick, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Oder zumindest, dass hinter ihm mehr steckte, als es der äußere Eindruck erahnen ließ.
Er hatte die Gestalt eines alten, gebückten, weißbärtigen Mannes, doch seine Augen waren jung wie die eines neugeborenen Kindes.
*
Der alte Mann streckte mühsam ein Bein aus, als leide er an Gicht. Ein kuttenähnliches weißes Gewand schlotterte um seinen hageren Körper.
»Du bezeichnest mich immer noch als Chronisten von ES«, sagte er, »aber ich sehe mich schon lange nicht mehr in dieser Position. Ich habe dir erklärt, warum, und ich hoffe, du kannst es
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