PR 2672 – Kosmische Agonie
sich auf. Sofort aktivierte die Hauspositronik ein sanftes Licht.
»Guten Morgen, Shanda. Es ist 7.12 Uhr Terrania-Standardzeit. Möchtest du aufstehen?«, erklang die sanfte Frauenstimme, die Rence ausgewählt hatte.
»Wer ruft an?«
»Resident Bull.«
Shanda sackte zurück und schloss die Augen. »Durchstellen!«
»Wie du wünschst.«
»Was kann ich für dich tun?«
»Ich wollte dich nicht wecken. Du hast deinen Schlaf verdient.«
»Du etwa nicht?« Die Funkenmutantin rieb sich die Augen mit den Handballen. Als sie die Hände senkte, schwebte die holografische Darstellung des Residenten vor ihr. »Uh.«
Vergessen, die Bildübertragung abzuschalten. Verflixte Morgenträgheit.
Bully musterte sie sichtbar besorgt. »Ich habe einen Zellaktivator, der mich mit zwei Stunden Schlaf auskommen lässt. Du dagegen siehst aus, als könntest du mindestens zwei weitere vertragen. Schlaf weiter und ruf mich an, wenn du wach bist.«
»Nein!« Shanda rieb erneut über ihre Augen. Sie spürte förmlich die Ringe und die Schwellung darunter. Salz klebte in ihren Tränenkanälen und auf den Wangen. Trotzig wischte sie darüber. »Ich kann sowieso nicht schlafen. Sag mir, was los ist. Gib mir etwas zu tun!«
Mit gerunzelter Stirn musterte der Resident sie, gab jedoch nach. »Die KLEOPATRA ist gelandet. Ich habe gerade mit Chourtaird gesprochen, und er ist bereit, uns zur Sonne zu begleiten.«
»Gut. Ich bin in einer Stunde da.« Sie schwang sich aus dem Bett. Erst ein ersticktes Geräusch aus Richtung des Holos erinnerte sie daran, dass die Bildübertragung noch immer stand und sie nicht mehr trug als ein weites, aber durchaus kurzes Shirt.
»Bis nachher«, sagte Bully. Das Bild verschwand.
»Ach, Mist, behämmerter«, murmelte Shanda und machte sich auf den Weg ins Bad.
Eine Viertelstunde später fühlte sie sich nach einer Behandlung mit kaltem Wasser und heißem Kaffee bereits deutlich wohler. Sie überließ sich Terranias System der öffentlichen Verkehrsmittel und versuchte die Bilder des vergangenen Abends aus ihrem Kopf fernzuhalten.
Konzentrier dich auf das Kommende, nicht die Vergangenheit.
Die Sonne ... Sie hatte auf der Sonnenstation AMATERASU das Taggestirn als unglaublich faszinierenden Ort kennengelernt. Sie hatte die unbändigen Energien darin gespürt, die chaotischen Turbulenzen und gleichmäßigen Flüsse; die Regionen ruhigen Treibens ebenso wie die Ausbrüche von Protuberanzen. All das hatte sie in seiner Gesamtheit wahrnehmen können durch die Spenta, für die es Heimat bedeutete.
Diese unbegreiflichen Wesen lebten, wo alles bislang bekannte Leben unter der intensiven Strahlung der zentralen Kernfusion und den enormen Energien sterben musste. Sie ließen sich in den Gasen treiben, folgten der Konvektion oder schwammen gegen sie an, genossen die sie umfließenden Kräfte. Und wo immer sie zusammentrafen und größere Gruppen bildeten, entstand Intelligenz.
»Mosaikintelligenz« war der Begriff, den sie dafür geprägt hatten. Etwas, das erst ein Bild ergab, wenn viele kleine Teilchen zusammenkamen. Sie hatten Shandas Geist als einen Teil aufgenommen, sie eingebunden – nur um sie in dem Moment, als sie zahlreich genug waren, um die Terranerin als das zu erkennen, was sie war, unter Ekel und Abscheu hinauszustoßen.
Shanda schüttelte den Kopf, rieb sich über die Stirn. Dieser Schock – es war gewesen, als wären viele kleine Fäden an ihren Geist geknüpft worden. In dem Moment, als sie aus dem Geflecht ausgestoßen wurde, drohte ihr Geist zu zerreißen.
Besser nicht daran denken!
Ungerufen tauchte Reginald Bulls Gesicht in ihrem Geist auf, sein besorgter Blick an diesem Morgen. Es mischte sich mit den Erinnerungen aus der AMATERASU. Wie klar hatten dort die Selbstvorwürfe in sein Gesicht geschrieben gestanden, als er sie besucht hatte. Seine Zerrissenheit, die sie behoben hatte, indem sie selbst den nächsten Einsatz forderte. Die Erinnerung ließ sie lächeln.
Er lädt für alles Verantwortung auf seine breiten Schultern, obwohl es doch meine freie Entscheidung war. Wie kann man das nur so lange ertragen?
Aber war es nicht gerade das, worum es am Abend gegangen war? Verantwortung?
Shanda spürte erneut die Mischung aus Wut und Verzweiflung, die sie nicht zur Ruhe hatte kommen lassen. Unwillig rieb sie sich über die Augen.
Das fehlt mir noch, mit rot geweinten Augen vor Reginald Bull zu treten.
Wieder zwang sie ihre Gedanken zu der vor ihr liegenden Aufgabe. Chourtaird überwachen
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