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PR 2694 – Todeslabyrinth

PR 2694 – Todeslabyrinth

Titel: PR 2694 – Todeslabyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Schwartz
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wie nichts mehr zu erzählen habe, und Anicee, weil sie vermutlich annimmt – und zu Recht –, dass ich ihren Geschichten nicht mehr folgen und sie mir sowieso nicht merken kann.
    »Hast du einen Freund?«, frage ich sie unvermittelt. Eine typische Vaterfrage, für die sie mich, wäre ich gesund gewesen, wahrscheinlich gevierteilt hätte. Aber so lächelt sie nur milde und schüttelt den Kopf. Sie will nicht darüber reden. Mir recht, aber die Retourkutsche zu ihrer Frage vorhin wegen dieser Frau, an die ich mich nicht erinnere, musste sein.
    Und was soll ich sie auch sonst fragen? Ich will kein heikles Thema berühren. Ich will keine Unstimmigkeit zwischen uns. Ich will ... sie einfach nur dahaben.
    Anicee ist so jung. Und doch so ... erwachsen. Viel zu sehr, finde ich. Aber für mich wird sie immer mein Kind sein. Das ich beschützen will.
    Das bringt mich auf etwas anderes. Wahrscheinlich werde ich für dieses Feuerwerk an Erinnerungen und kombinierenden Gedanken noch fürchterlich büßen müssen. Es wird bald zu viel sein, und es ist jetzt schon anstrengend. Aber sei es drum, das ist mein letztes Mal. Das berühmte Aufbäumen kurz vor ... Ach, lassen wir das.
    »Du wirst gehen, nicht wahr?«, frage ich sie leise. »Zu ihnen. Den Sayporanern.«
    »Woher weißt du das?«, stößt sie peinlich berührt hervor. Sie scheint zu erschrecken, weil ihr schwachsinnig gewordener Vater zu solchen Erkenntnissen gelangen kann.
    Ich deute stumm zum Fenster. Sie versteht die Geste, auch wenn es Nacht ist, und nickt.
    Dies ist nicht mehr meine Sonne.
    Ihre Augen, ihre sayterranischen Augen vertragen das strahlende Licht Sols nicht mehr. Sol ist befreit und nicht mehr dunkel. Anicee kann nicht bleiben. Wahrscheinlich können sie alle nicht bleiben. Es wird wieder eine neue Menschheit entstehen, weit fort von zu Hause. Unerreichbar weit, sollten wir je an unseren ursprünglichen Ort zurückkehren.
    »Aber ... ich verlasse dich nicht«, fügt sie hinzu.
    »Dafür verlasse ich dich«, sage ich sanft.
    Ich merke, wie ich müde werde. Es strengt mich immer mehr an. Anicee merkt es auch. Sie beugt sich über mich und drückt mir einen Kuss auf die Wange.
    »Dad«, sagt sie wie in alten Zeiten, als sie noch mein kleines Mädchen war und ich ihr Vater Sham. »Es tut mir leid.«
    »Unsinn«, erwidere ich und bemühe mich, streng zu klingen. »Entschuldige dich niemals für etwas, das du nicht zu verantworten hast, verstanden?«
    Sie schweigt. Und ich auch. Es tut gut, sie nur zu fühlen. Dennoch merke ich langsam, wie ich mich entferne.
    Meine Tochter atmet ein. »Wir hatten viel Spaß, Sham«, sagt sie. »Ich erinnere mich gern an meine Kindheit mit dir zurück. Du warst häufig weg. Aber wenn du da warst, warst du wirklich da.«
    Ich verabschiede mich nicht nur von ihr, sondern sie sich auch von mir. Sie wird ebenfalls auf eine weite Reise gehen. Ins Weltenkranz-System, wo ihre Augen nicht mehr leiden müssen. Aber wird sie Terra nicht trotzdem vermissen? Sie ist kein Sayporaner. Ich hoffe, sie findet dort ihre wahre Heimat und wird glücklich. Denn ich kann nichts mehr für sie tun.
    Ich gähne. Es wird Zeit.
    Müdigkeit übermannt mich, und mein Geist tut sich allmählich schwer, die Gedanken zu ordnen. Aber das ist nicht schlimm. Sondern ... alles an seinem Platz.
    »Hoka hey«, sage ich. »A'kohahey.«
    »Was hat das zu bedeuten?«, fragt Anicee.
    »Es ist ein sehr alter Spruch der Dakota-Indianer«, antworte ich meiner Tochter. »Ich habe ihn mal bei einer Recherche zu historischer Literatur entdeckt, als ich nach Kriegsrufen suchte. Es ist an sich gar kein Kriegsruf, sondern eigentlich eine versöhnliche Phrase, von der wir nur noch den Schluss kennen. Aber Häuptling Crazy Horse soll diese Worte beim Ansturm auf Little Bighorn ausgestoßen haben, und seitdem wird er eben als Kriegsruf interpretiert.«
    Ernst sieht sie mich an. Keineswegs so, als halte sie mich für einen armen Irren, der nun sein letztes bisschen Verstand mit merkwürdigen Worten ausspuckt. »Und was bedeutet es?«
    »Es bedeutet sinngemäß, dass man alle Dinge richten soll, die gerichtet gehören, und wenn es einem gelingt, alles bis zu seinem letzten Tag zu erledigen, ist es ein wahrhaftig guter Tag zum Sterben.«
    Sie zieht eine betroffene Miene. »Und ist es so?«
    »Ja.« Ich lächle. »Ja, denn du bist hier, und ich durfte Abschied nehmen von dir, in einem meiner letzten wachen Momente. Es gibt nun nichts mehr, was noch zu tun wäre.«
    Sie umarmt mich.

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