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PR 2695 – Totenhirn

PR 2695 – Totenhirn

Titel: PR 2695 – Totenhirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marcus Thurner
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ab. Zum ersten Mal erkannte Ankersen den Menschen in ihr – und nicht die Amtsträgerin.
    Er starrte auf seine Uhr. Es war kurz vor zwei Uhr nachmittags. Es kamen beunruhigende Nachrichten vom Rand der Anomalie. Reginald Bull versorgte sie mit Informationen über ein neues Tor, das sich geöffnet hatte – und zwar vom Standarduniversum herüber in die Anomalie. Der Vorstoß der Truppen QIN SHIS stand offenbar kurz bevor. Teile der Flottenverbände, die im Next-Stop-System stationiert waren, zählten zur eisernen Reserve, sollten Bulls Truppen allzu rasch in die Defensive gedrängt werden.
    Ankersen hatte keine Zeit, sich genauer zu informieren. Diese Dinge waren weit weg. Im Flottenverband, der durchs Next-Stop-System auf Höhe der Bahn des achten Planeten trieb, wirkte alles ruhig, fast beschaulich. Und die Ereignisse an Bord seines Schiffes erforderten all seine Aufmerksamkeit.
    Pernemas und Chourtaird verließen den Raum. Sie unterhielten sich über Dinge, die Ankersen nicht verstand, über Transplantationstechniken, und er fragte sich, wie der plötzliche Themenwechsel zustande gekommen war. Er hatte sich doch bloß für ein, zwei Minuten geistig zurückgezogen und über die Situation an Bord nachgedacht ...
    Er fühlte, dass ihn jemand anstarrte. Die einzige verbliebene Person im Raum. Henrike Ybarri.
    Es war irritierend, fast unangenehm.
    »Wie ist es, mit einem lebenden Toten zurechtkommen zu müssen?«, fragte sie unvermittelt.
    »Anka ist nicht tot!«, entgegnete er heftig.
    »Ich weiß«, sagte sie rasch. »Aber er ist anders. Er reagiert nicht so, wie man es von ihm erwartet. Sein Blickwinkel ist verschoben, er findet kaum Kontakt zu anderen Personen. Er ist scheinbar weit weg.«
    »Das trifft es alles nicht. Aus seiner Perspektive sind wir es, die falsch funktionieren. Für Anka ist es selbstverständlich, mit den Händen zu sehen und mit dem Geist zu greifen.«
    »Und er leidet niemals darunter?«
    Ankersen dachte lange nach. »Er litt fürchterlich, als ich ihn entdeckte. Man stellte schreckliche Dinge mit ihm an.«
    »Ich habe das Dossier über ihn gelesen. Anka Hilvard soll völlig verwahrlost aufgefunden worden sein. Er war wie ein wildes Tier, als man ihn befreite, kaum bei Sinnen.«
    »Das ist die offizielle Version der Ärzte und Psychotherapeuten.« Ankersen machte eine Handbewegung, die seine Verbitterung zum Ausdruck bringen sollte. »Nachdem ich ihn gefunden und befreit hatte, galt er in Fachkreisen als Sensation. Man bezeichnete ihn als Seher. Als mächtigen Mutanten. Einige nannten ihn im gleichen Atemzug mit Gucky oder Trim Marath. Was selbstverständlich völlig überzeichnet war.« Er schüttelte den Kopf. »Anka geriet in eine Tretmühle, aus der er sich selbst nicht mehr befreien konnte. Man stellte die seltsamsten Untersuchungen mit ihm an und konstatierte, dass er über kein erhöhtes Psi-Potenzial verfügte.«
    »Du sagtest, dass er gar kein Mensch sei ...«
    »Richtig. Aber das interessierte niemanden. Niemand hat je daran gedacht, wie sich Anka fühlt! Er brauchte keine Annehmlichkeiten – er benötigte Herausforderung. Um sich weiterzuentwickeln. Um all das zu vergessen, was er erlebt hatte, und um zu lernen, mit seinem früheren Leben umzugehen.«
    »Und da kamst du ins Spiel.«
    »Ich hatte eine Woche mit ihm verbracht, bevor ich ihn auf Terra den Ärzten übergeben musste. Ich hatte versucht, einen Kontakt zu ihm aufzubauen. Zu einem völlig verängstigten Geschöpf, das mitunter aggressiv werden konnte und auf keinerlei Versuch der Kontaktaufnahme reagierte. Erst als ich mich von ihm verabschiedete, sagte er ein Wort. Ein einziges.«
    »Und das war?«
    »Versteh mich nicht falsch: Ich bin mir meiner Rolle als Flotten-Sonderling sehr wohl bewusst. Wie kommt ein gestandener Offizier dazu, die Vormundschaft über einen erwachsenen Menschen zu übernehmen?«
    Ankersen verstummte, gab sich dann aber einen Ruck. Er hatte sich weit geöffnet, aus Gründen, die er nicht nachvollziehen konnte. Henrike Ybarri war vertrauenswürdig, nach allem, was er über sie wusste.
    »Er sagte ein Wort, von dem er damals womöglich nicht einmal wusste, was es bedeutete. Aber es änderte alles für mich. Er sagte Papa zu mir.«
    Ybarri runzelte die Stirn. »Das war's? Mehr steckte nicht dahinter? Er weckte elterliche Gefühle in dir?«
    »Nein. Er machte mir deutlich, dass er hilflos wie ein Kind war. Dass er mit dieser völlig fremden Umgebung nichts anzufangen wusste und keine Ahnung hatte, was

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