PR 2696 – Delorian
weil ich am Ende der Großen Zeitschleife deine Position übernehme?«
Delorian richtete sich aus der Hocke auf und streckte sich. Er schämte sich dafür, doch er blickte mit Mitleid und sogar ein wenig Verachtung auf den Greis hinab. Konnte es sein, dass der Chronist sich selbst aufgab? Dass er seinen Lebenswillen verlor, weil er seine Aufgabe erfüllt hatte?
»Ich gehe nicht verloren«, sagte der Alte endlich.
Delorian starrte sein Gegenüber an und schüttelte den Kopf. Alles in seinen Gedanken wirbelte durcheinander, vermengte sich zu einem Brei aus Zukunft und Vergangenem. Zu einem zähen Sumpf, der nichts von dem wieder freigab, was er einmal umschlossen hatte.
Aufbegehrend warf Delorian den Kopf zurück und blickte in den Himmel. Die Sonne war hinter der schwarzen Gewitterfront verschwunden, er konnte sie nicht einmal mehr erahnen. Es regnete. Schwere Tropfen klatschten herab und kühlten Delorians erhitztes Gemüt. Mit beiden Händen wischte er sich die Nässe aus dem Gesicht. Körperlichkeit – und doch nur Gestalt gewordene Vorstellung.
Zum ersten Mal empfand er Furcht vor der Ungewissheit der noch fernen Zukunft. Das war ein Gefühl, das sich keineswegs leicht abschütteln ließ.
»Ich bin der Chronist von ES«, sagte er. »Dass mir so vieles genommen wurde, was normale Menschen auszeichnet, darüber habe ich mich nie beschwert. Im Gegenzug habe ich natürlich sehr viel gewonnen, was anderen für immer verschlossen bleibt. Ich kann einen kleinen Bereich dieses Universum einen Atemzug lang in seiner Entwicklung begleiten. Wahrscheinlich habe ich mehr bekommen, als ich von mir abgeben musste. Und ich habe einen klangvollen Namen: Delorian, der Chronist von ES. Das ist mein Leben.«
»Ja«, stimmte der Alte im Hintergrund zu. »Genau das ist dein Leben.«
»Ich glaube nicht, dass ich es ertragen würde, müsste ich eines Tages namenlos weiterleben, als Bewusstsein unter Milliarden anderen.« Delorian wandte sich wieder dem alten Chronisten zu. »Erinnere dich an den Sturz dieses Planeten und seines Mondes durch den Schlund im Mahlstrom der Sterne.«
»Ich weiß.«
»Denk daran, dass ES die Bewusstseine nahezu aller auf dem Planeten lebenden Menschen in sich aufnimmt, um sie zu schützen. Du weißt um die qualvolle Enge, die zur Geburt der Konzepte führen wird.«
»Mehrere Bewusstseine in einem Körper, eine bewundernswert einfache Lösung – ich war daran beteiligt. Du magst das nicht?«
»Nein, ich mag das nicht«, antwortete Delorian heftig. »Ich weiß nicht, wie mein eigener Körper geworden wäre, aber vielleicht bin ich auch in meiner Seele trotz der Manipulationen ein Kind meiner leiblichen Eltern. Ich brauche Freiheit und Bewegungsraum. Mit anderen zusammengepfercht zu sein, würde ich nicht ertragen.«
»Dazu das Gefühl, als Chronist vergessen zu werden ...«
Delorian stutzte. Forschend zog er die Brauen zusammen, aber er fand keinen Hinweis darauf, dass der Alte ihn verspottete.
»Du hast ein Problem«, behauptete der Greis.
Delorian nickte. »Eines Tages werde ich verhindern müssen, dass ES mich in den Bewusstseinspool abschiebt, weil sich mein Wissen um die Zukunft erschöpft hat. Oder die Superintelligenz mich gar zum integrierten ewigen Bestandteil der Großen Zeitschleife macht. Gefangen in achtzehn Millionen Jahren, das will ich mir nicht vorstellen ...«
»Dein Problem ist ein anderes, als du glaubst«, wandte der Greis ein. »Für die Dauer einer kleinen Ewigkeit weißt du stets, was geschehen wird. Du kannst dich darauf einstellen und danach handeln und sicher sein, dass du keine Fehler machen wirst. Aber dann kommt der Tag, ab dem du nichts mehr vollkommen sicher wissen wirst. Du wirst dich fühlen, als stündest du vor einer undurchdringlichen Wand, an der du dir den Kopf einrennen musst. Du kannst diese Wand nicht einreißen, geschweige denn herausfinden, was sich hinter ihr verbirgt. Vielmehr wirst du immer nur das Wenige erfahren, was durch die Fugen sickert.
Du hast Angst, Delorian. Davor, dass du inmitten einer anonymen Menge in Bedeutungslosigkeit versinken wirst, und ebenso vor dem Verlust deines Wissensvorsprungs. Du wirst die Macht verlieren, die du heute noch hast. Und auch wenn du glaubst, Verlust gegen Gewinn aufwiegen zu können: Du fürchtest, um die Früchte deiner langen Arbeit gebracht zu werden.«
Delorian hätte einiges dagegen vorbringen können. Er tat es nicht. Weil er spürte, dass er sich nur selbst belogen hätte. Denn letztlich war er der
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