PR 2702 – Das positronische Phantom
niemand anders als NATHAN. Der Onryone wollte auf das Mondgehirn zugreifen und eine Verbindung zum Zentralrechner in Iacalla, dem sogenannten Genius, schalten.
Klack.
Klack.
Klack.
Antonin bemerkte erst, dass er mit den Fingernägeln schnippte, als er das Geräusch hörte. Na wunderbar. Sämtliche Medienbeobachter werden mich für einen Trottel halten und in der Luft zerreißen. Denn außer ihm, Woytrom und dem Sicherheitspersonal waren zwei Journalisten der maßgeblichen Trividsender vor Ort, ganz zu schweigen von dem guten Dutzend Kameradrohnen. Die Onryonen hatten sich nicht quergestellt, sondern geradezu darum gebeten, eine Art öffentliches Spektakel aus dieser Aktion zu machen: Seht her, wir sind eure Freunde, die euch helfen.
Doch das leise, verräterische Knacken von Antonins Fingernägeln ging in einem weitaus lauteren Knirschen unter.
Woytroms Füße steckten in seltsam metallisch glänzenden Schuhen und lugten unter dem Saum des schreiend regenbogenfarbenen Gewandes hervor. Genau zwischen ihnen brach etwas aus dem Boden. Zuerst sah es aus wie ein Regenwurm, über dessen Kopfende zwei hauchdünne Fühler pendelten.
»Was ist das?«, hörte er jemanden fragen; einer der Sicherheitsleute rannte heran, hielt einen Strahler schussbereit. Antonin gab ihm mit einer barschen Bewegung zu verstehen, dass er sich gedulden sollte.
Die Fühler schoben sich in die Länge, während das Regenwurm-Ding rasend schnell wuchs. Sie knickten ab wie Spinnenbeine, verzweigten sich zu Krallenfüßen, die aufsetzten und über den Boden schabten.
»Keine Sorge«, sagte Woytrom. Seine Augen hielt er geschlossen, das Emot auf seiner Stirn pulsierte in einem langsamen, geradezu hypnotischen Rhythmus. Es changierte in warmen Orangetönen. »Dies ist nur ein kleiner Ausläufer des Techno-Rhizoms, wie ihr es nennt. Ich habe ihn hierher dirigiert. Er wird die Verbindung zum Genius nach Iacalla schalten.« Das lange Haar des Onryonen flog, als er sich plötzlich heftig schüttelte, als würde er unter Strom stehen.
»Was ist mir dir?«, fragte Antonin erschrocken.
»Keine ... Sorge«, wiederholte Woytrom, aber diesmal klang er nicht so überzeugt wie zuvor. »Es kostet mich nur große ... Mühe.« Die Worte kamen abgehackt. Zwischen den Zähnen war kurz eine bleiche Zunge zu sehen.
Der Ausläufer des Rhizoms erinnerte Antonin inzwischen an eine Spinne.
Er hasste Spinnen.
Auf vier, sechs, acht Beinen krabbelte das Ding von den Füßen des Genifers weg, hin zu NATHANS Hardware. Dabei blieb es über einen langen, nur millimeterdicken, metallisch glänzenden Faden mit dem Boden verbunden.
Es verlor endgültig die Ähnlichkeit mit einem wie auch immer gearteten Tier, als es sich turmartig in die Höhe schob wie eine Antenne.
Mit einer beiläufigen Bewegung griff Aytosh Woytrom zu; die Augen öffnete er nicht. Er verband das metallische Etwas mit NATHANS Schnittstelle und atmete lautstark aus. Wieder war seine Zunge zu sehen. »Danke für eure Geduld. Es hat funktioniert. Der Kontakt steht. Ich bin sicher, dass unsere Bemühungen nun schneller zu einem guten Ziel kommen.«
Antonin lächelte.
Für die Kameras.
Unsere Bemühungen, dachte er. Ob Woytrom darunter wohl dasselbe verstand wie er?
*
Einen Tag später gaben die Onryonen eine Erdbebenwarnung an Luna Town I für die Zeit zwischen 15 und 16 Uhr am Nachmittag durch. In der Stadt konnten die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt und zusätzliche Schirme installiert werden. Als das Beben kam, genau zum angekündigten Zeitpunkt, gab es weder nennenswerte Zerstörungen noch ein einziges Todesopfer.
Als wolle das Schicksal, an das Antonin Sipiera nie geglaubt hatte, ihm zynisch zuwinken, erhielt der Administrator gleichzeitig die Information, dass die seit dem letzten Beben vermissten Kinder gefunden worden waren. Nur eines hatte überlebt, völlig ausgezehrt und dehydriert. Es war so alt wie seine Tochter Pri.
Die schreckliche Nachricht ging im Jubel unter. Zumindest für die meisten Mondbewohner. Nicht so für Antonin, der kreuz und quer durch die Stadt fuhr und persönlich mit den betroffenen Eltern sprach. Manches Mal sah er in seinen Träumen die verstörten Gesichter und die traurige Gewissheit in den müden Augen.
In den nächsten Wochen erwachten stillgelegte Fabriken in der Nähe von Iacalla zu neuem Leben. Mit NATHANS Hilfe konnten die Onryonen die automatischen Fabrikationsanlagen leicht steuern. So arbeiteten die Maschinerien den Fremden zu, lieferten
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