PR Lemuria 03 - Exodus der Generationen
stieß.
Hinzu kamen die Verdienstanteile, die Paronn ihm für die Weiterführung der Chronik übertrug. Deshan blickte sich selbst in die großen dunklen Augen, sah darin erste erfüllte Träume, aber auch noch viele unbeantwortete Lebensfragen.
Eine seltsame innere Unruhe hatte ihn in dieser Nacht zum Turm der Wahrheit geführt und veranlasste ihn jetzt, sich vom Fenster abzuwenden und den Weg durch leere Flure und Säle fortzusetzen. Nur einige wenige Personen hielten sich um diese Zeit im Turm auf,
Chronisten wie er, vertieft in Bücher oder damit beschäftigt, eigene Aufzeichnungen anzufertigen. Während Deshan ging, horchte er in sich hinein und versuchte festzustellen, was ihn nicht zur Ruhe kommen ließ. Lag es daran, dass er seit einigen Monaten Vater war? Zu Beginn des Jahres hatte ihm Mira eine Tochter geschenkt, und durch die kleine Tamaha war es in Deshans Privatleben zu erheblichen Veränderungen gekommen. Manchmal fand er zu Hause nicht mehr die Ruhe, die er brauchte, um seine Gedanken zu ordnen, aber das war ein geringer Preis für die Zufriedenheit darüber, dass mit Tamaha aus dem Paar Mira-Deshan eine Familie wurde.
Tief in Gedanken versunken ging Deshan Apian eine Treppe hoch, erreichte den nächsten Stock des Turms und wanderte auch dort durch lange, Flure, vorbei an stummen Zeugen der Vergangenheit. Er erinnerte sich an Dauzart, den ersten Kuraten des Kuratoriums, an die kognitiven Methoden, mit denen er sich im Zentrum der mnemonischen Beschaulichkeit befasst hatte. Ein Chronist musste lernen, Unwichtiges von Wichtigem zu trennen und die Muster der Bedeutung selbst dort zu erkennen, wo das Auge eines ungeübten Beobachters nur Banales sah.
Plötzlich verstand er den Grund für seine Unruhe: In dem Bedeutungsmuster, das er sah, fehlte ein wichtiger Punkt, ein Aspekt, ohne den das Bild lückenhaft blieb.
In einem der vielen leeren Studienbereiche nahm Deshan Platz und schaltete den Zephalon ein. Mira Lemroth und die anderen Zephalonspezialisten arbeiteten an einem neuen Eingabesystem, das die direkte Verarbeitung von Sprache gestattete, aber bis es voll einsatzbereit war, würde es noch eine Weile dauern. Bis dahin blieb die Tastatur die gebräuchlichste Schnittstelle zwischen Mensch und Denkmaschine.
Tasten klickten unter Deshans Fingern, als er seinen Chronistencode eingab. Der Zephalon bot ihm Zugriff auf alle digitalen Informationen des Turms der Wahrheit, aber sie bildeten nur einen kleinen Teil des riesigen Archivs. Die meisten Daten lagen noch immer in analoger Form vor: Schriftzeichen auf Rollen und in Büchern.
Deshan gab den Suchbegriff ein, ohne einen bewussten Gedanken damit zu verbinden: Levian Paronn.
Text und Bilder erschienen auf dem Bildschirm, und der größte
Teil davon ging auf ihn selbst zurück, auf seine Arbeit als Paronns Chronist.
Seit zwei Jahren leitete Paronn die Unternehmensgruppe »Impetus«, die Teil des Raumfahrtprogramms des Großen Solidars war und insbesondere Module für die Raumstationen in Lemurs Orbit produzierte. Unter seiner Führung kam die Entwicklung neuer Technologien gut voran - die Wissenschaftler und Techniker zeigten sich oft angesteckt von Paronns großem Enthusiasmus.
Deshan Apian nutzte eine bei Dauzart erlernte kognitive Methode, indem er Instinkt und Unterbewusstsein freie Bahn ließ.
Frage: Seit wann ist Levian Paronn für das Raumfahrtprogramm tätig?
Die Antwort erschien auf dem Schirm: Seit drei Jahren, seit er als Entwicklungsingenieur mit der Arbeit für Impetus begonnen hatte.
Deshan starrte verwundert auf den Bildschirm. Bei ihrer ersten Begegnung vor fünf Jahren hatte Levian Paronn bereits seine Arbeit für das Raumfahrtprogramm erwähnt, doch die Zephalondaten behaupteten, dass er erst zwei Jahre später in die Dienste von Impetus getreten war.
Tief in Deshan prickelte etwas, dort, wo bisher Unruhe gewesen war. Der Instinkt des Chronisten hatte etwas entdeckt, ein neues Bedeutungsmuster unter anderen, eine versteckte Struktur. Vielleicht war er deshalb während der letzten Wochen und Monate nicht zur Ruhe gekommen, weil etwas in ihm gespürt hatte, dass es hinter den Dingen, die Paronn ihm zeigte, noch andere gab, die verborgen blieben.
Deshan beugte sich vor, begann mit einer konzentrierten Datensuche und bemühte sich, den persönlichen Hintergrund Levian Paronns zu rekonstruieren.
Geboren im Jahr 4460 dT in der Forschungskolonie Torhad, hoch im Norden gelegen, tief im ewigen Eis. Sohn von Trui Paronn und Kaila
Weitere Kostenlose Bücher