PR NEO 0039 – Der König von Chittagong
werden helfen, versprochen. Aber nicht jetzt.« Kakuta machte sich eine geistige Notiz. In Terrania würde er einige ernste Gespräche führen. Doch jetzt mussten sie sich auf die Spur Sandhyas setzen.
Seltsam. Er fühlte sich nach wie vor beobachtet und verfolgt. Waren Bankims Leute hinter ihnen her? Wurden sie von den beiden Frauen beobachtet, von seinen Leibwächterinnen?
Es blieb ihnen wohl nicht allzu viel Zeit, um den Jungen ausfindig zu machen.
Die Barandikh-Werft. Ein Gelände wie aus einem Bürgerkrieg. Unkraut wucherte mannshoch, rostige Träger stachen wie überlange Finger mahnend in den Himmel. Es existierten auch Flecken der Schönheit. Salzkristalle vereinten sich zu ungewöhnlichen Strukturen, Schneeflocken nicht unähnlich. Manchmal zu faustgroßen Elementen, die wie Früchte an Stahl- und Plastikstehern klebten.
»Das muss es sein«, sagte Sengu und deutete auf das Wrack eines Fischkutters. Es stand da, fast aufrecht, ein Unikum unter den anderen, kreuz und quer liegenden Schiffen.
»Siehst du etwas?«, fragte Kakuta.
»Einige Jungs, die Fußball spielen. Rechts von uns. Ein jeder könnte unsere Zielperson sein.«
»Das glaube ich nicht. Sandhya ist ein Einzelgänger.« Kakuta dachte an seine eigene Kindheit. An Dinge, die er nicht verstanden hatte. Daran, dass man ihm hatte begreiflich machen müssen, dass er kein Freak war, keine Missgeburt, sondern ein ganz normaler Junge. Und daran, dass er von falschen Leuten beeinflusst worden war, damals im Camp ...
Da war ein Loch im Zaun, so groß wie ein Scheunentor. Niemand scherte sich um den Verfall der Werft. Kein Polizist, kein Uniformierter kümmerte sich um jene, die ein und aus gingen, verrostetes Metall zerschnitten und die Platten davonschleppten, um sie Kleinhändlern weiter nördlich für wenig Geld zu verkaufen. Hier lagerte nichts mehr, was für die großen Abbruchfirmen einen Wert hatte.
Da waren die Fußballspieler. Sie nutzten schlickigen Untergrund, der weitgehend frei von Splittern und Scherben war. Alle hatten sie nackte, ölgetränkte Beine. Die Haut war vernarbt und entzündet. Doch sie lachten. Sie liefen einem Ball, eigentlich einem nassen Sack, hinterher und trachteten danach, ihn möglichst lang in der Luft zu halten. Sobald er auf den Boden platschte, blieb er im Morast stecken, und die Jugendlichen balgten sich in Rudeln darum, ihn wieder freizubekommen.
Nein. Diese Burschen entsprachen keinesfalls den Beschreibungen, die sie von Sandhya erhalten hatten. Sie waren zwischen zwölf und vierzehn Jahren alt, sie zeigten keinerlei Respekt oder Ehrfurcht voreinander.
»Ich rede mit ihnen«, sagte Sengu und ging auf die Jungen zu. Kakuta hielt ihn nicht auf. Sein Begleiter machte sich in diesen Belangen besser. Irgendwie erweckte er bei Jugendlichen den Eindruck, »einer von ihnen« zu sein. Sein widerspenstiges Haar, seine Pummeligkeit, sein Dauerlächeln prädestinierten ihn dazu.
Kakuta wartete geduldig auf Sengus Rückkehr und sah sich um. Der Kutter mit dem roten Kiel wirkte einigermaßen intakt. Dennoch zeigte auch er bereits Löcher. Manche waren ausgefranst und zackig, und sobald der Wind auffrischte, lösten sich winzige bis mannsgroße Rostablagerungen. Andere waren aus der Wandung gebrochen oder geschnitten. Meist zwei mal zwei Meter große Flächen, die einen Blick ins Innere des Wracks erlaubten.
Sengu gestikulierte nach wie vor mit Händen und Füßen, lachte, klopfte einem der Jungen kräftig auf die Schulter und stampfte vor einem anderen fest auf, sodass Schlamm über seine blassen, dünnen Beinchen spritzte. Er nahm es gutmütig hin und erwiderte das Lächeln.
Sengu kehrte zurück und streckte beide Daumen zum Zeichen seiner Zufriedenheit hoch. »Er befindet sich tatsächlich auf dem Schiff. Meine neuen Freunde meinten, wir sollten uns in Acht nehmen. Wenn er schlechter Laune sei, sollte man sich besser von ihm fernhalten.«
»Haben sie etwas über seine Gabe erzählt?«
»Jein. Nichts, was uns weiterbringen würde. Sie meinten, dass er mit Schuld am Aussehen des Fischkutters habe. Er hätte mit den Händen gewinkt und die Löcher seien entstanden, einfach so. Auch für den Rostbefall sei er verantwortlich, für die Farbe des Schiffsrumpfs, für das Unkraut, für das Wetter und dafür, dass die Großmutter des einen Jungen Furunkel am Hintern hätte, sowieso.«
»Natürlich.« Kakuta wurde ungeduldig. Sengu gab sich, so unruhig er manchmal auch sein konnte, mit einem Mal umständlich. Hatte er
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