Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
PR NEO 0039 – Der König von Chittagong

PR NEO 0039 – Der König von Chittagong

Titel: PR NEO 0039 – Der König von Chittagong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marcus Thurner
Vom Netzwerk:
Sandhya verfiel allmählich in ein Idiom, das dem eines Zehnjährigen entsprach.
    »Warum tust du ihnen weh? Macht es dir Spaß, anderen Schmerzen zuzufügen? Du könntest deine Kraft genauso gut dazu nutzen, den Menschen zu helfen. Sie würden dich dafür belohnen.«
    »Nein! Sie bekommen Angst vor mir. Sie laufen weg, werfen mit Steinen und anderen Dingen nach mir. Sie wollen mir wehtun.«
    »Du musst behutsam vorgehen ...«
    »Lass mich in Ruhe!« Sandhya ließ das Yasemine fallen und tat eine Handbewegung. Die Luft vor ihm wirkte mit einem Mal so, als nähme sie eine feste Konsistenz an.
    »Du redest wie ein kleines Kind. Ich glaube, dass du Angst hast. Du bist bloß gemein, weil du dich davor fürchtest, allein zu sein.«
    »Geht weg!« Die Stimme klang nun erschreckt, fast panisch. »Ich will nicht, dass ihr hier seid! Verschwindet, sonst tue ich euch weh!«
    Warum quälst du ihn so sehr?, fragte sich Kakuta, erschrocken über sein Vorgehen, über seine Worte. Es ist genug jetzt. Und laut fragte er: »Das ist alles, was du kannst, Sandhya? Mir drohen? Möchtest du mir wehtun? Weißt du denn, was Schmerzen bedeuten? Hast du sie selbst schon mal gespürt? Oder hast du immer nur ausgeteilt, bevor dir etwas geschehen konnte?«
    »Ruhig, Tako ...«
    »Misch dich nicht ein, Wuriu!« Und, an Sandhya gewandt: »Du bist ein Feigling! Ein kleiner, unbedeutender Wicht, der es gar nicht verdient, dass wir uns um ihn kümmern. Du bist es nicht wert, im Lakeside Institute aufgenommen zu werden ...«
    Hinter ihm knirschte es, Staub wirbelte durch die Luft. Der Hund sprang auf und knurrte. Sandhya wurde blass. Er wirbelte mit den Händen umher, zeichnete seltsame Bilder in die Luft, und die Finger bewegten sich noch schneller. Kakuta meinte, Funken sprühen zu sehen, wusste aber nicht zu sagen, woher sie kamen.
    »Glaubst du, mich mit irgendwelchem Firlefanz beeindrucken zu können? So, dass ich Angst bekomme und bibbernd vor dir auf die Knie falle, vor einem Freak, vor einer Missgeburt! Ja, das bist du: eine Missgeburt!«
    Tako wusste kaum mehr an sich zu halten. Dieser kleine Scheißer brachte ihn in eine selten gekannte Rage. Er erinnerte ihn an ein früheres Ich. An die Zeit im Camp Specter, als er von Iwanowitsch Goratschin ausgebildet worden war, als er es mit Roster Deegan zu tun gehabt hatte.
    Links und rechts von ihm wurde es hell. Wände lösten sich auf, Metallplatten verschoben sich. Verbogen sich, als würde ein Riese mit seinen Fäusten dagegenhämmern. Nieten lösten sich aus dem Boden. Sie schossen hoch und bohrten sich in die Decke. Eine von ihnen streifte den Bauch des Hundes, die Haut platzte auf, dunkles Blut quoll heraus. Blut, so viel Blut ...
    Es war ihm einerlei. Kakuta stürzte nach vorne. Packte die Hände des Jungen und hielt die Finger so fest, dass er sie nicht mehr bewegen konnte. Sandhyas Gesicht lief knallrot an. Er schrie. Schimpfte, greinte, spuckte, trat. Und konnte doch nichts gegen ihn tun, den stärkeren Erwachsenen. Sandhya war hilflos, weil er die Arme bewegen musste, wollte er seine Gabe einsetzen.
    »Lass ihn los, Tako!«, rief Sengu. Er griff nach seinen Händen, zerrte an ihnen. »Du tust ihm weh!«
    Kakuta lachte und schüttelte den Freund ab. Er triumphierte über Sandhya, der viel zu große Macht in seinen Händen hielt und nicht richtig damit umzugehen wusste. Über Sengu, den Schwächling, der nicht verstehen wollte, was hier vor sich ging. Der die Hölle von Camp Specter nicht miterlebt hatte, sondern auf der Sonnenseite des Lebens aufgewachsen war ...
    Kakuta hielt erschrocken inne. Was tat er da? Welcher Kami, welcher Totengott veranlasste ihn, ein derart beschämendes Verhalten an den Tag zu legen?
    Mit einem Mal war Stille. Kakuta ließ den Jungen los, trat einige Schritte zurück, weg von seinem Opfer und weg von Sengu, dem Freund, der sich eben mühsam aufsetzte. Weg vom Hund, der in den Beinen einknickte und glasige Augen bekam.
    Klank. Eine einzelne Niete fiel auf den Boden zurück und rollte aus. Metall rieb über Metall.
    Kakuta fühlte Schmerzen in der Brust. Wann hatte er das letzte Mal Atem geholt? Er wusste es nicht. Er war sprachlos. Tatenlos. Sein eigenes Verhalten war ihm unerklärlich.
    Er gierte nach Sauerstoff. Benötigte ihn, wollte er weiterleben. Doch er würde diesen Ort nicht weiter mit seiner Gegenwart verunreinigen.
    Kakuta floh. Er teleportierte ins Blaue. Nur weg von hier, dem Ort seiner Schande.

4.
    Die Geheimnisse des Mädchens
     
    John Marshall

Weitere Kostenlose Bücher