PR NEO 0040 – Planet der Seelenfälscher
deswegen machte.
Sie trat an die Medoliege. Claqrekz' Augen standen offen, der Blick auf Arga gerichtet. Erwartungsvoll und ohne Angst. Es war schwierig, in der Miene von Angehörigen einer fremden Spezies zu lesen. Trotzdem war sich die Enderin ihrer Interpretation sicher. In den vergangenen Tagen hatte sie Claqrekz so gut kennengelernt, wie ihn sonst kaum jemand kennen dürfte. Das leichte Pulsieren der schlitzförmigen Pupillen, das Beben der Lider, der kaum wahrnehmbare schweflige Geruch in seinem Atem. Sie hatte gelernt, die Zeichen zu deuten.
Der Khorrastyr gehörte zu den interessantesten Fällen, die Arga auf ihrem letzten Weg begleiten durfte. Nicht so vorhersehbar wie ein Mehandor, der bei einer Sterbezeremonie gerne mit einem stilisierten Tod um das Leben feilschte und am Ende einen Vertrag mit ihm schloss. Oder wie die kriegerischen Kulturen, für die es nichts Schlimmeres gab, als friedlich im Bett zu sterben.
Hinter einer Säule trat ein Khorrastyrpriester hervor. Eine klein gewachsene Gestalt, bis auf die knochigen Hände in eine bodenlange Kutte mit Kapuze gehüllt, die aus stoffgewordenem schwarzem Nebel zu bestehen schien. Mit jedem Schritt wallte und waberte das Kleidungsstück. Die Kapuze hing so tief, dass man das Gesicht nicht erkennen konnte. Eine Erleichterung für Hanral Burlan, den Fiktionsprogrammierer, denn so war es ihm erspart geblieben, ein Hologramm von den Zügen des Priesters erstellen zu müssen.
In den dürren Fingern hielt die Gestalt einen Dolch. Die schmale, gewundene Klinge schimmerte ölig wie die Statuen in der Halle und reflektierte die Flammen in den Säulen.
Eine Melodie erklang. Zumindest sollte die dissonante Abfolge von Kratz-, Krächz- und Wimmerlauten für Claqrekz so wirken. Rückkehr in den Leib Gottes, die Sterbehymne der Khorrastyr.
O ja, Arga Tasla war stolz auf ihre Recherchen.
»Es ist so weit«, flüsterte sie dem Scheidenden zu.
Claqrekz antwortete nicht. Aber seine Pupillen zogen sich zu Kreisen zusammen. Der Atem roch mit einem Mal süßlich. Ein Zeichen von Dankbarkeit.
Der Priester trat an die Medoliege, die der Todgeweihte nicht als solche wahrnahm.
»Kind Claqrekz«, sagte er in Khorrastyri, »es ist Zeit zurückzukehren. Dein Leib vernimmt den Ruf des Göttlichen.«
Arga verzichtete darauf, das Ritual von der Positronik ins Torguische, die Sprache der Aras, übersetzen zu lassen. Sie hatte die Zeremonie so oft durchlaufen, dass sie wusste, was die Worte bedeuteten.
»Erhebe dich und empfange die Gunst, in deinem Schöpfer aufzugehen.«
Natürlich stand der Khorrastyr nicht auf. Stattdessen geschah etwas anderes: Der Tempel, die Säulen, der Priester, ja selbst die von der Decke hängenden Lederstreifen – die gesamte Holografie kippte weg. Wie Arga bei den Testläufen am eigenen Leib erfahren hatte, wirkte es aus Claqrekz' Sicht nun so, als stehe er vor dem Sterbepriester.
Obwohl sie wusste, dass dieser Augenblick kommen würde, geriet Arga leicht ins Wanken, während die Umgebung um sie rotierte.
Konzentrier dich!, befahl sie sich. Das darf nachher nicht passieren! Denk an deine Aufgabe!
Also beobachtete sie den Ablauf genauer, bereitete sich auf das zweite Kippen vor. Die Gel-Matratze registrierte die Muskelzuckungen des Scheidenden und leitete die Impulse an die Positronik weiter. Die errechnete die beabsichtigte Bewegung und vermittelte die Illusion davon, indem sie das Hologramm in eine Position kippte, als habe sie auch stattgefunden. Reine Technik. Alles vorausberechnet.
Eben nicht! Manche Abläufe ließen sich zwar extrapolieren, aber nicht exakt vorhersagen. Würde sich der Scheidende langsam erheben wollen? Würdevoll? Oder würde er aufspringen? Schaffte er es allein, oder musste der Priester ihm helfen? Blieb er vor der Kuttengestalt stehen, oder ging er in die Knie?
Jede Handlung zog eine andere Bewegung des Hologramms nach sich.
Egal, wie oft man so etwas mitgemacht hatte, es war jedes Mal wieder neu.
Um Claqrekz nicht den Eindruck zu geben, neben ihm schwebe eine in der Luft liegende Arga Tasla, und dadurch seine Abschiedszeremonie zu beeinträchtigen, war im Augenblick seines fiktiven Aufstehens eine einseitig transparente, foliendünne Wand aus dem Boden gefahren, die die Enderin hinter der Illusion eines leeren Säulengangs verbarg.
Der Sterbepriester erhob den Dolch und richtete die Spitze auf die linke Schulter des Scheidenden. Es war nicht sicher, dass sich dessen Herz im Augenblick an dieser Stelle befand. Da
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