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PR NEO 0042 – Welt aus Seide

PR NEO 0042 – Welt aus Seide

Titel: PR NEO 0042 – Welt aus Seide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka
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verstanden sie die komplexe Symmetrie der mannigfaltigen Seidenstraßen, der Steig- und Sturzwege über ihren Köpfen nicht. Sie versuchten sich zu orientieren und sprachen den einen oder anderen Trebolaner an, hatten aber Schwierigkeiten, die Antworten, die man ihnen gab, auch zu begreifen. Mit ähnlichem Ungeschick gelang es ihnen, sich Nahrung zu besorgen und ihren Verzehr erklären zu lassen.
    Je-Ron-Tia kamen Zweifel. Waren dies wirklich die ehrwürdigen Günstlinge der Goldenen, für die er sie zunächst gehalten hatte? War er im Begriff, eine maßlose Torheit und einen weiteren Frevel zu begehen, indem er sie mit Vidaarm auf eine Stufe stellte? Sie wirkten so hilflos, so unwissend, wie sie dort auf ihren zwei Beinen dahinstolperten, die ihnen nur einen kleinen Ausschnitt der Stadt erschließen konnten.
    Er griff nach dem Artefakt in seiner Tasche. Es vibrierte noch immer.
    Je-Ron-Tia kletterte eine Abkürzung empor und folgte den Fremden eine Weile in sicherer Höhe. Sie hatten nun den Abschnitt der Allee erreicht, in der prunkseidene Skulpturen aus achthundert Jahren die Geschichte des Fürstentums erzählten, und näherten sich dem Panoptikum der prophezeiten Zeit – der Historienkammer der Hauptstadt. Mühsam erklommen sie die flachen Stufen, die eigens für Besucher wie sie errichtet worden waren, und betraten das Innere.
    Seine Gelegenheit war gekommen.
    Er seilte sich auf einen der Freiwege ab, die das Panoptikum mit seinen Nachbargebäuden verbanden, und betrat es durch einen der oberen Eingänge. Dann eilte er zu der großen Galerie, die das Erdgeschoss umspann. Wie er erwartet hatte, waren die sieben Fremden noch nicht allzu weit gekommen. Etwas weniger hektisch, um sie nicht zu alarmieren und die Würde des Ortes nicht zu verletzen, nahm Je-Ron-Tia einen kurzen Sturzweg nach unten und positionierte sich in einem der schwach ausgeleuchteten Seitenräume, dessen glanzgewebte Schätze sich den Eroberungen des vierten Jahrhunderts widmeten.
    Wie er vorhergesehen hatte, betrat der Weißseidene kurz drauf als Erster den Raum und widmete sich fasziniert der Installation in ihrer Mitte. Dann beugte er sich über die Konsole für Besucher und startete den holografischen Film, der die Installation erläuterte. Kurz darauf war er völlig in den Bann geschlagen. Der einzige andere anwesende Trebolaner verließ ruhigen Schrittes den Raum.
    Je-Ron-Tia war allein mit dem Fremden. Mit allem Mut, den aufzubringen er imstande war, trat er vor und sprach ihn an.
    »Weißseidener«, sagte er auf Arkonidisch, denn er wusste nicht, wie er ihn sonst nennen sollte, auch wenn es kaum der Etikette entsprach. »Günstling der Goldenen«, fügte er nach kurzem Zögern hinzu und hatte ihn damit wahrscheinlich in einem Atemzug beleidigt wie überhöht.
    Der Fremde riss sich von der Konsole los und studierte ihn überrascht. Je-Ron-Tia wusste, dass sein Arkonidisch nicht das beste war, und sagte deshalb sehr langsam: »Werden Sie mir die Ehre eines Gesprächs erweisen? Ich brauche Ihre Hilfe.«
    »Meine Hilfe?«, fragte der Fremde. »Wie könnte ich Ihnen wohl helfen?«
    Verstand er wirklich nicht?
    »Sie tragen das Zepter«, sagte Je-Ron-Tia rundheraus und deutete so respektvoll wie möglich auf das Ei auf seiner Brust. »Das Zepter Vidaarms.« Es schimmerte wie Schmuckseide im flackernden Licht der Konsole.
    »Das Zepter?«, fragte der Fremde. »Meinen Sie etwa dies?« Er fasste nach dem Ei und hob es an. Je-Ron-Tia unterdrückte den Reflex, den Blick abzuwenden, denn die Geste, die er ausführte, kam einem Befehl zur Unterwerfung gleich ... Und zur selben Zeit war er sich beinahe sicher, dass der Fremde keine Ahnung hatte, was er da tat.
    »Haben denn nicht die Goldenen Ihnen dieses Zepter gegeben?«, fragte Je-Ron-Tia.
    »Die Goldenen?«, erwiderte der Weißseidene. »Wer sind die?«
    Je-Ron-Tia klackerte ungläubig mit seinen Kieferklauen. Ohne weiter darüber nachzudenken, griff er nach dem summenden Artefakt in seiner Tasche und hielt es dem Fremden entgegen.
    »Die Goldenen sind ...«, hob er an, doch in diesem Moment vollzog sich ein weiteres Wunder.
    Das Artefakt offenbarte sich.
    Ein gleißender Fächer aus Licht brach aus dem Stab hervor und zeichnete mit weichen Fingern das Gesicht einer Fremden vor ihnen in die Luft. Es war das Gesicht einer weißseidenen Zweibeinigen, ähnlich dem Fremden.
    Je-Ron-Tia schnappte nach Luft. War dies etwa der Beweis, nach dem so viele Ursprungsforscher gesucht hatten? Die Goldenen –

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