PR NEO 0042 – Welt aus Seide
Sternenreich auch so viel ... kleiner als Ihres. Unsere Transitionstriebwerke erreichen nur Reichweiten von wenigen Lichtjahren pro Sprung. Unsere Schutzschirme halten einem Beschuss Ihrer Waffen nicht stand. Selbstverständlich ist das kein Zufall – es ist in Ihrem Sinne, dass wir schwach und angreifbar bleiben. Und die Regelung der Schwerkraft auf unseren Schiffen und Kolonien ist so energieaufwendig, dass viele Pioniere damit sparen oder ganz darauf verzichten. Eine Weile geht das gut – doch nach einigen Jahren erleiden sie einen Lungenriss. Wussten Sie, dass dieser Tod unter Raumfahrern als Berufskrankheit gilt? Es ist geradezu lachhaft.«
Crest sagte nichts dazu. Es war klar, dass dem Trebolaner genauso wenig der Sinn nach Lachen stand wie ihm. Und er ahnte, wohin das alles führte.
»Entweder Sie lügen also, oder Sie geben sich nicht richtig Mühe«, folgerte der Trebolaner und hielt ihm abermals das Display hin. Seine dunkelroten Augen glitzerten bedrohlich.
Unwillkürlich fühlte sich Crest an seine Gefangenschaft im Juli letzten Jahres auf der Erde erinnert, als Clifford Monterny ihn in seine Gewalt gebracht hatte. Der ehemalige Militär war auf seine Weise ein brillanter Kopf gewesen – doch er war demselben Denkfehler erlegen wie dieser Trebolaner: Er hatte geglaubt, Crest könnte ihn mit überlegener Technologie versorgen, einfach nur, weil er einer alten, sternenfahrenden Kultur entsprang.
Dabei hatte Monterny seinerseits nicht einmal den Aufbau eines Radioweckers im Detail erklären können.
»Sehen Sie, ich würde Ihnen gerne helfen«, sagte Crest vorsichtig und kam nicht umhin, das Zittern im Arm des Trebolaners zu bemerken. Pass auf, warnte ihn sein Extrasinn. Er ist zwar kein Profi wie Monterny – aber das macht ihn nicht weniger gefährlich. Er ist bereits weitergegangen, als er selbst es je für möglich gehalten hätte. »Aber ich kann Ihnen ebenso wenig die Funktionsweise eines Strukturfeldkonverters erklären, wie ich Ihnen ein Musikstück komponieren könnte. Ich kann diese Dinge benutzen, goutieren, ja – aber ich kann sie nicht selbst erschaffen, und ihre Rätselhaftigkeit fasziniert mich ebenso wie Sie.«
Der Trebolaner gab wieder den klackernden Laut von sich. Dann warf er das Display weg, griff sich mit einer raschen Bewegung ein kleines Gerät von einer Ablage und drückte es Crest an den Hals. Er spürte den scharfen Einstich einer Nadel und zuckte zusammen.
»Was tun Sie da?«, rief er mit klopfendem Herzen. »Was haben Sie mir gegeben?«
Er spürte die Wirkung fast noch im selben Moment, in dem er die Frage stellte.
»Eine Ethanollösung«, sagte der Trebolaner. »Keine Sorge – ich weiß, dass es eine beruhigende Wirkung auf Ihresgleichen hat, und kenne die übliche Dosierung. Man sagt, Alkohol löse die ... wie heißt es doch gleich? Die Zunge. «
Obwohl Crest erleichtert war, dass der Trebolaner ihm nichts Schlimmeres injiziert hatte, war er doch vollauf damit beschäftigt, gegen die aufsteigende Übelkeit anzukämpfen. Von einem Augenblick zum nächsten ging es ihm, als hätte er auf einen Zug eine ganze Flasche Wein geleert. Das letzte Mal hatte er sich so gefühlt, als er noch ein junger Mann gewesen war ... Wärme breitete sich in seinem Kreislauf aus, und in seinem Kopf schwamm alles durcheinander. Ohne den Aktivator hätte er wahrscheinlich die Besinnung verloren.
Er ist naiv, versuchte sein Logiksektor zu ihm durchzudringen. Spiel einfach mit ... Er wird seinen Fehler schon einsehen.
»Aber wieso?«, fragte Crest. Es bereitete ihm Mühe, klare Worte zu formen.
»Weil Sie lügen«, sagte der Trebolaner.
»Was macht Sie da so sicher?«
Sein Entführer reagierte erst nicht und sah ihn nur an. Dann griff er, widerstrebend, wie es schien, nach einem Gegenstand, der neben der Injektionsspritze lag, und setzte ihn vorsichtig zwischen ihnen auf dem Boden ab.
Der Gegenstand war zylindrisch und wies deutliche Brandspuren auf. Die Gestaltung des Objekts sagte Crest nichts, aber welches Feuer auch immer es versengt hatte – es musste sehr heiß gewesen sein und vor sehr langer Zeit gebrannt haben.
»Der Empfänger«, entfuhr es ihm, denn es war der Gegenstand, den ihm sein Entführer schon im Panoptikum gezeigt hatte.
»Sie wissen also, um was es sich handelt?«, fragte der Trebolaner wie aus der Pistole geschossen.
Erst denken, dann reden, mahnte ihn sein Logiksektor, und Crest musste sich eingestehen, dass der Alkohol seine Wirkung besser tat, als ihm lieb
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