PR NEO 0043 – Das Ende der Schläfer
Wohltäter!, behauptete Ianis. Begreifst du nicht, dass er uns nur benutzt?
Ich begriff tatsächlich nicht, was er hatte. Er sollte sich freuen, mich zu sehen, so, wie auch ich mich freute. Stattdessen begann er sofort wieder mit Vorhaltungen. Das durfte ich nicht auf mir und dem Wohltäter sitzen lassen. Selbstverständlich tut er das! Die Goldenen wissen, was richtig ist, und sie wissen, was wir ausrichten können. Sie setzen uns ein. Und vollbringen wir nicht Gutes?
Er presste seine Wurzeln fester gegen meine. Man kann das so oder so sehen. Und ich sehe, dass du zu viel Zeit mit den Goldenen verbringst und zu wenig mit den Deinen.
Die Meinen? Jene, die mich verstießen, als ich sie gebraucht hätte? Auf dieses Volk kann ich verzichten! Sie werden lernen müssen zu gehorchen!
Ich spürte, wie er zuckte, als hätte ich ihn geschnitten.
Wir haben Fehler gemacht. Aber … niemand kannte jemanden, der wie du war. Jetzt wissen wir, dass ihr zu uns gehört. Ich kann es nicht anders sagen, aber mit dir an unserer Seite sind wir sehr viel besser, sehr viel effizienter. Komm zu uns!
Ich durchschaute ihn. Ich werde dem Wohltäter folgen. So, wie wir alle es geschworen haben.
Verzweiflung flutete durch seine Wurzeln in meine, eine Emotion, die ich nur von den Roten kannte und auch nur, wenn ihr Empfinden für Gerechtigkeit negativ stimuliert wurde: Zorn. Ich versuchte ihn zu beruhigen, aber der Iras wand sich, im körperlichen wie mentalen Sinne.
Sag mir, was dich beschäftigt! Lass mich dir beistehen!, drängte ich.
Für einen Moment wurde er sanfter. Es ist besser, du weißt nicht zu viel. Außerdem ist es längst zu spät! Und da war er wieder, dieser furchtbare, brennende Zorn, den ich nur akzeptieren, aber nicht verstehen konnte.
Wütend riss Ianis sich los. Selbst auf die Gefahr hin, dass seine Wurzelfäden abrissen, zerrte er seine Laufwurzeln aus dem Boden und ging fort.
Ich wollte ihm folgen, aber meine Wurzeln brachten es nicht fertig, dazu waren sie nach wie vor zu untrainiert und außerdem in diesem Moment mit zu vielen anderen verbunden.
Indem ich die anderen zwang, mich zu akzeptieren, lösten sich deren Vorbehalte plötzlich auf, viel schneller, als ich es den Berichten zufolge erwartet hatte. Meine Liebe flutete durch sie hindurch, und zuerst zögernd, dann aber in großen Wellen schwappte eine Rückkopplung über mich hinweg und tränkte mich in dem, was die jeweiligen Santor ausmachte: Jedes der anderen fünf Geschlechter trug andere Teile der Riofe Rohn in sich, im Negativen wie im Positiven, und in mir und den anderen Avitio kamen alle diese Aspekte zusammen, um umgewandelt und sodann wieder in dieser neuen, zusammengefassten Qualität zurückgeworfen zu werden auf die Prudab, die Temlyn, die Folux, Spevii und Iras.
Wir Avitio waren wie die Lazan: Wir nahmen auf, transformierten und versendeten wieder, ohne uns zu verändern. Wir reinigten unser kollektives Selbst von der Verderbnis der Riofe Rohn, indem wir unsere Leidenschaften ins Gleichgewicht brachten. Denn wo die Lazan mit Energie handelten, mussten wir mit dem arbeiten, was uns insgesamt – zu Recht, wenn ich unsere Geschichte betrachtete – weggenommen worden war: Emotionen.
Mir wird es nie endgültig klar sein, was andere Wesen sehen, wenn sie uns Santor gegenüberstehen, weil so vieles von dem, was uns ausmacht, nur für unsereinen erkennbar ist. Ich bin beinahe sicher, dass kein Goldener es sah oder erkannte, aber in diesen Momenten, als alle Avitio ihre Position eingenommen hatten, als sich das Wurzelnetz zu einem ähnlich festen Tuch zusammenzog wie das Transferfeld im inneren Ring der WELTENSAAT, genossen wir alle unsere Gemeinschaft; in unseren Gedanken verschmolzen Welten, Zeiten und Erfahrungen miteinander, und alle teilten alles.
Abgesehen von mir: Ich konnte verbergen, was ich wollte, denn ich war der Avitio. Ich war der Quell dieser Verbindung, und daher konnte ich sie – in gewissem Umfang – kontrollieren. Wichtiger noch: Ich konnte abschätzen, wie sich der Wirkungsgrad unserer Ballung entwickelte, denn es war keine Frage der Quantität oder der spontanen Versammlung. Vielmehr mussten die Faktoren Anzahl, Dauer und Verteilung miteinander in die bestmögliche Konstellation gebracht werden. Zunächst ließ ich die Verbindung fließen, um sie zu erkunden, um alle kennenzulernen. Je länger ich durch die Bewusstseine meiner Mitsantor reiste, desto mehr spürte ich die gemeinsamen mentalen Kräfte anschwellen.
Das
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