PR NEO 0045 – Mutanten in Not
verfügten. Talente, die sich langsam entwickelten wie bei John Marshall oder plötzlich ausbrachen und lebensbedrohliche Krisen mit sich brachten wie bei Lekoche Kuntata. Paragaben, um die sie nicht gebeten hatten, die ihnen einfach so in den Schoß gefallen waren.
Warum?
Und warum gerade jetzt, just in derselben Generation, in der die Menschheit Kontakt zu außerirdischen Zivilisationen bekam?
Reginald Bull lenkte Caroline von ihren grüblerischen Gedanken ab. »Paralleluniversen«, grummelte er. »Das theoretische Konzept geistert schon seit ein paar Jahrzehnten herum, aber ehrlich gesagt, für mich ist es die Hölle. Ich schraube gern an Maschinen, sogar an den hochgezüchteten Aggregaten, die wir von den Arkoniden, ähem, geerbt haben. Aber gleich am Grundgefüge des Kosmos?« Er schüttelte sich. »Ich fürchte, das wird selbst mir zu steil. Andererseits ...« Bull kratzte sich an der Schläfe. »Sie meinen also, Allan, dieser Noir könnte der Ansatzpunkt sein, den wir so verzweifelt suchen?«
»Er hat ausgesagt, eine Gabe zu besitzen, die er ›Changieren‹ nannte«, sagte Mercant. »Angeblich kann er Menschen gegen ihre Gegenstücke aus parallelen Universen vertauschen. Noir hat sich gegenüber Kakuta, Sengu und Colas mit seinen Fähigkeiten gebrüstet, aber auch behauptet, sie nicht auf die drei Mutanten angewandt zu haben.«
»Unsere Chefärzte Fulkar, Manoli und Haggard haben sie auf Herz und Nieren untersucht und nichts Auffälliges gefunden«, warf John Marshall ein. »Keinerlei Spuren einer physischen oder psychischen Manipulation.«
»Steckt Noir noch in Bangladesch?«, fragte Bull.
Mercant verneinte. »Sein so trotzig propagierter ›Free State of Chittagong‹ ist im Kampf mehrerer Warlords untergegangen. Seither ist André Noir verschollen, wie vom Erdboden verschluckt. Die Suche der Sicherheitskräfte der Union blieb ohne Ergebnis. Ich habe meine Kontakte spielen lassen, aber mit herkömmlichen Mitteln scheint er nicht aufzuspüren zu sein.«
Auf einmal starrten alle betont nicht in Carolines Richtung ...
3.
Noch eine Herausforderung
Am Abend desselben Donnerstags war Rinat Ugoljew in seinem Element.
So hatte er das neue Restaurant getauft: Rhinos Element . Es bereitete ihm eine Riesenfreude. Viel Arbeit auch, rund um die Uhr, aber zu Müßiggang neigte er ohnehin nicht.
Der Ansturm war schon bei der Eröffnung vor knapp einem Monat überwältigend gewesen und hielt ungebrochen an. Bis weit in den Sommer reichte die Reservierungsliste. Rhinos bescheidener Ruhm als Veteran der ersten Arkonexpedition und sein guter Ruf in der Spitzengastronomie trugen einiges zum Erfolg bei; aber mindestens ebenso viel, da machte er sich keine Illusionen, verdankten er und seine Partnerin der einzigartigen Örtlichkeit.
Das Lokal gehörte zum Stardust Tower. Jedoch lag es, streng genommen, nicht im zentralen und höchsten Gebäude Terranias, sondern am Turm – fast wie es früher einmal schick gewesen war, auf Speisekarten »Kalbsmedaillons an Spargelspitzen« zu offerieren. Wobei der Spargel über zwei Kilometer hoch in den Himmel ragte und das Restaurant-Medaillon in einem großteils transparenten, sich drehenden Ring untergebracht war, der langsam zwischen dem 60. und dem 600. Stockwerk auf und ab fuhr. Eine spektakulärere Gaststätte gab es auf der ganzen Erde nicht.
In seiner frühen Bauphase hatte der Turm an ein stark vergrößertes, auf dem Heck stehendes Shuttle erinnert. Mittlerweile war das Fundament verstärkt worden, die Basis verdickt, fast wie der Wurzelteller eines Baumes, und mehr oder minder mit dem inneren Stadtbezirk zusammengewachsen. Die Stockwerke eins bis sechs beherbergten die von Eric Manoli und Frank Haggard gegründete Klinik Terrania Central; sieben bis 50 wurden von den Regierungsmitgliedern und Angestellten der Terranischen Union belegt als teils Büros, teils Wohnquartiere. Nach oben hin verjüngte sich der Turm zusehends. Nach wie vor befanden sich die höher gelegenen Stockwerke im Rohbau; die Spitze verlor sich für das unbewehrte Auge in den Wolken.
Ganz oben entsprang der Orbitalfahrstuhl; entlang eines hoch dynamischen Seils aus einer auf arkonidischem Know-how beruhenden, graphenähnlichen Verbindung glitten zylindrische, fünfzig Meter lange Gondeln mit einer durchschnittlichen Reisegeschwindigkeit von 2500 Kilometern pro Stunde bis zur knapp 36.000 Kilometer entfernten Gegenstation, der ehemaligen Venuszuflucht der Arkoniden. Sie schwebte in einem
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