PR NEO 0045 – Mutanten in Not
deutete auf das zweite, freie Bett. »Meinen Kulturbeutel habe ich vorsorglich bei mir, und ein Nachthemd wird mir die diensthabende Schwester besorgen.«
Da Marshall keinen weiteren Einspruch erhob, schlug Haggard vor, in der Bar des Element ein Gutenachtgetränk zu nehmen. »Offen gesagt bin ich ein wenig hungrig, und Rhino hat immer einen schmackhaften Mitternachtshappen für mich.«
7.
Das Pferd von Lara
André Noirs Mitbringsel enttäuschte Caroline Franks Hoffnungen nicht. Der kleine, fidele Knochenmann mit dem Sombrero aus Veracruz führte sie und ihren außergewöhnlich unauffälligen Begleiter zu einem Strand; allerdings nicht am Golf von Mexiko, sondern auf Zypern. Das war Caroline sehr recht, denn die Mittelmeerinsel kannte sie von früheren Aufenthalten ganz gut.
Sie landeten am späten Vormittag in Paphos, verlangten bei der Autovermietung am Flughafen einen Elektrozweisitzer der niedrigsten gelisteten Kategorie und bekamen, da gerade kein Kleinstwagen verfügbar war, zum selben günstigen Preis ein wesentlich größeres und eigentlich viel teureres Gefährt. Dieser Trick funktionierte immer wieder, angeblich schon seit Jahrzehnten.
Da die Verpflegung im Flugzeug sehr zu wünschen übrig gelassen hatte, sie aber wenig Lust auf Einheitsfutter für Touristen verspürte, fuhr Caroline ins hügelige Hinterland der Kleinstadt, von deren Erstbesiedlern in der ptolemäischen Antike nur noch wenige Gräber und Mosaike erhalten waren. Nach knapp 25 Kilometern erreichte sie das Örtchen Kathikas und dessen Prunkstück und einzige Attraktion, die Taverne der Familie Iacovides.
Savvas, der Patron, begrüßte sie so lakonisch auf Englisch, als wären nicht vier Jahre seit ihrem letzten Besuch vergangen, sondern maximal vier Tage. »Denselben Tisch wie immer, mein blonder Engel?«
Sie schüttelte bejahend den Kopf, wie es im griechischen Kulturkreis Brauch war, und putzte sich die Nase.
»Verschnupft, Caroline?« Ihm war tatsächlich ihr Name wieder eingefallen!
»Mhm.« In Frankreich hatte sie schon geglaubt, ihre Beschwerden wären abgeklungen. Aber die trockene Luft im Flieger und der Temperaturunterschied von fast zwanzig Grad in Verbindung mit der Air Condition des Leihautos hatten die lästige Erkältung erneut zum Ausbruch gebracht.
»So eine wunderschöne Frau«, schmeichelte und neckte Savvas Iacovides, während er sie zu einem Ecktisch am Fenster geleitete, »und muss ganz allein speisen. Wann wirst du endlich einen deiner gewiss zahlreichen Verehrer erhören? Oder wartest du gar auf die Heimkunft eines verschollenen Odysseus?«
»Kein Kommentar. Jedenfalls habe ich Appetit für zwei. Ich hoffe, du bist nicht mehr ganz so geizig wie früher.«
Grinsend schob er ihr den Stuhl zurecht. Ihr scherzhafter Vorwurf traf ihn nicht. Wenn man den zyprischen Gaststätten abseits der Hauptverkehrsrouten etwas nicht nachsagen konnte, dann Geiz. Bei Savvas und seinesgleichen bedeutete Mesé nicht bloß ein paar Vorspeisen, sondern dass aufgetischt wurde, was die Küche hergab. Das konnte schon auf fünfzehn, zwanzig oder mehr Gänge hinauslaufen, auf kleinen Tellern liebevoll angerichtet: köstlich geschmacksintensive, kalte und warme Gerichte, verschiedenste Sorten Fleisch oder Fisch, meist gegrillt, mit dem unvergleichlichen Aroma der Holzkohle, desgleichen Halloumi-Käse ... Caroline lief das Wasser im Mund zusammen.
Diese Art des Essens war nebenbei auch ideal dazu geeignet, einen unsichtbaren Begleiter mit zu verköstigen. Caroline legte einen Reiseführer in eine Lücke zwischen den sich immer höher auftürmenden Tellern und tat, als würde sie die Aussprache der griechischen Vokabel üben. So erläuterte sie Lekoche Kuntata, was er jeweils gerade in sich hineinschlang: taramosaláta – Püree aus Fischrogen und Kartoffelmus; jemistés – mit Reis und Faschiertem gefüllte Tomaten und Paprikaschoten; stifádo – Kaninchenragout in mit Zimt und Kreuzkümmel gewürzter Tomatensoße; und natürlich das zyprische Nationalgericht kleftiko , im eigenen Saft gebackenes Lamm- oder Ziegenfleisch.
Während des wahrlich üppigen Mahls tastete Caroline immer wieder in ihrer Handtasche nach der Schachtel, die Lekoche aus dem Haus der Noirs bei Saint-Aubin-des-Châteaux hatte mitgehen lassen. Es wäre ja zu dumm gewesen, wenn sich ihre Zielperson abgesetzt hätte, derweil sie gemütlich schlemmte. Aber das Ergebnis war stets dasselbe: André Noir befand sich keine zwanzig Kilometer nordwestlich von ihrem
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