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PR NEO 0045 – Mutanten in Not

PR NEO 0045 – Mutanten in Not

Titel: PR NEO 0045 – Mutanten in Not Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Lukas
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Vision war eine andere gewesen.
    »Ich konnte fliegen. Wie im Traum, ohne Hilfsmittel.« Sid schloss die Augen und lächelte. »Das war schön. Ich schwebte durch eine tiefe, sehr lange, sich hin und her windende Schlucht mit fast senkrechten, schroffen Felswänden. Unten brauste und gischtete ein Fluss. Irgendwann nach einer Biegung erweiterte sich die Schlucht überraschend zu einem Tal mit sanften Hügeln. Ein Landschaftsgarten, gestaltet wie manche dieser Parks in England, wisst ihr, nur noch perfekter; paradiesisch, berückend lieblich. Ich fühlte mich, als streifte ich durch ein wundersames Gemälde.«
    Haggard bemerkte, dass sich die Atem- und Pulsfrequenz des Latinos verlangsamten. Dem Traumbild wohnte offenbar etwas sehr Beruhigendes, zutiefst Entspannendes inne.
    »Es war so friedlich«, fuhr Sid, halb in Trance, wie zur Bestätigung fort, »so still; und angenehm mild. Die Luft roch würzig. Zu beiden Seiten des Flusses erstreckten sich saftige Wiesen, übersät mit Blumen. Ihre Blütenkelche schienen sich mir zuzuneigen, als wollten sie mich willkommen heißen. Ruinen waren über das Hügelland verstreut, doch ihnen haftete nichts Trauriges an, keinerlei bitteres Echo früherer Pracht, keine Klage über erlittene Verluste. Vielmehr fügten sie sich so homogen und organisch in die Landschaft ein, als wären sie immer schon Bestandteile der Natur selbst gewesen.«
    Marshall wechselte einen vielsagenden Blick mit Haggard. Von einer sehr ähnlichen Vision hatte Tako Kakuta berichtet, teilweise mit wortwörtlich denselben Formulierungen. Das konnte kein Zufall sein!
    Aber hatte Kakuta – übrigens ebenfalls ein Teleportermutant – nicht auch geschildert, dass das Idyll jählings zerbrochen war?
    Mit bedauerndem Tonfall sagte Sid González: »Ich hätte ewig so dahinschweben können, über den Wäldchen und Hainen, den weißen, geharkten Kieswegen, den Auen und Wasserfällen. Leider spürte ich mit einem Mal, dass mein Glück nicht von Dauer war. Ich wurde schwerer und unwiderstehlich hinabgezogen zu einer der Ruinen. Dort drängten zwei Schatten sich eng gegen Felsbrocken. Zwei Männer, glaube ich, aber ich bin nicht sicher, weil ...« Er stockte. »Leichter Nebel kam auf oder eher heißer Dunst wie in einem Dampfbad ...« Auf seiner Stirn bildeten sich Schweißtropfen.
    Besorgt überprüfte Haggard die Diagnosegeräte. In der Tat zeigten sie steigende Erregung an, wenngleich die Werte weit unterhalb des heiklen Bereichs blieben.
    »Da ist er!«, rief Sid laut.
    »Wer?«, fragte Sue.
    »›Ich kriege ihn.‹ Das hat der eine Schatten gesagt, auf Arkonidisch. Er hatte eine Waffe, deren Mündung aufglühte. ›Nein!‹, schrie der Zweite mit einem eigenartigen Akzent. ›Tun Sie das nicht! Sie ...‹ Zu spät. Aus der Waffe zuckte ein gleißend heller Energiestrahl, und, und ... Aaah!« Sid griff sich an die Brust, bäumte sich auf, verdrehte die Augen und sackte zusammen.
     
    Haggard schnellte hoch, Manoli eilte hinzu, aber Sue signalisierte Entwarnung. »Keine Gefahr für Leib und Leben. Die intensive Rückschau hat ihn immer stärker mitgenommen, bis es zu viel für ihn wurde und er weggekippt ist. Aber er hat keinen Schaden davongetragen.«
    Die Überwachungseinheit gab der Mutantin recht. »Er schläft«, konstatierte auch Marshall.
    »Ja, tief und fest. Ihr werdet euch über das Gehörte beraten wollen. Geht nur, Männer! Ich bleibe bei Sid. Raus mit euch, husch-husch!«
    »Pass bloß auf, junge Dame, dass du dich nicht ebenfalls übernimmst!«
    Da redet der Richtige, dachte Haggard.
    Es war ein offenes Geheimnis, dass John Marshall sich selbst nicht schonte. Als Leiter des Lakeside Institute verkörperte er die Speerspitze eines Heeres von Spezialisten, die in einem faszinierenden, völlig unbekannten Fachgebiet erst ganz am Anfang standen. Ihre Aufgabe war es, den Mutanten aus aller Herren Länder eine Heimat und eine Zuflucht zu schaffen. Viele davon trugen schwer unter ihrer belastenden Vorgeschichte, nicht wenige waren traumatisiert. Seine eigene telepathische Begabung besser kontrollieren zu lernen, fand Marshall kaum Zeit.
    Ständig musste er Anweisungen geben, Bauarbeiten genehmigen, als Verbindungsmann zu den Ferronen auf dem Institutsgelände dienen, Neuankömmlinge begrüßen und sie Tutoren zuordnen, Kontakt zu Neurologen, Humangenetikern, Allgemein- und Alternativmedizinern halten ... Haggard beneidete ihn wahrlich nicht um seine Position.
    »Keine Sorge, ich lege mich bald hin.« Sue

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