PR NEO 0050 – Rhodans Weg
auf allem, was sie finden konnten. Die intakt gebliebenen Stühle reichten vielleicht für ein Dutzend. Der Rest hatte sich auf Tische oder auf Aktenbündel gesetzt. Die Mutanten waren graue Schemen, aus denen das Weiß der Augen hervorstach. Der Staub hatte sich in den Fasern ihrer Kleidung festgesetzt, klebte an ihrer Haut.
Vierundsechzig Mutanten waren in Lakeside eingeschlossen worden. Vier davon, darunter John Marshall, der Leiter – oder besser: ehemalige Leiter – des Instituts, waren irgendwo im Untergrund oder zwischen den Trümmern unterwegs und suchten die fünf vermissten Gefährten. Die Toten, Dylan, Rudy, Aang und Noémi, hatten sie bereits provisorisch begraben.
Die Mutanten starrten das Holo an, als handele es sich um einen Geist.
Niemand sagte etwas, bis eine der grauen Gestalten aufsprang, sich nach einem prall gefüllten Aktenordner bückte und ihn Mercant ins Gesicht warf. Der Ordner flog glatt durch die Projektion und klatschte in einer Staubwolke auf den Boden.
»Glaubt ihm nicht!«, rief die Gestalt. »Er lügt! Er ist nur neidisch!« Sie baute sich vor dem Holo auf, stemmte die Hände in die Hüften und spuckte es an.
Die Gestalt drehte sich um, sah die Mutanten an. Es war eine Frau. Takita, eine Japanerin, die bis vor wenigen Stunden vom Hals an abwärts gelähmt gewesen war. Takita hatte nicht einmal einen Finger rühren können, doch sie hatte eine besondere Gabe besessen: Sie hatte andere Menschen ihre Abneigung spüren lassen können. Und Takita hasste andere Menschen. Ihnen war vergönnt, was ihr verwehrt war: sich zu bewegen, aus eigener Kraft für sich zu sorgen.
Sich Takita zu nähern war praktisch unmöglich gewesen. Sue hatte es einmal versucht, um ihr zu helfen. Ihre eigene Gabe war die einer Metabiogruppiererin. Was, wenn sie den Defekt fand, der Takita an den Rollstuhl fesselte? Sue war unter Aufbietung ihrer letzten Kraft bis zwei Schritte vor die Japanerin gekommen, dann war sie ohnmächtig geworden.
Sie war in einem Krankenbett wieder zu sich gekommen, mit einem Verband auf der Stirn, der die Wunde schützte, die sie sich bei dem Sturz zugezogen hatte. Und einem wütenden Sid an ihrer Seite, der es Takita heimzahlen wollte.
Sue hatte ihn davon überzeugen können, dass Takita nicht anders hatte handeln können, der Schmerz in ihr zu tief saß. Doch ein Groll war in Sid geblieben. Er konnte die Japanerin nicht ausstehen – und seinen Mund nicht halten.
Sid schnellte hoch. »Woher willst du das wissen, Takita? Wenn hier jemand neidisch ist, dann du!«
Sue packte Sids Hand, wollte ihn wieder zu sich auf den Stuhl ziehen. Sie mussten einen kühlen Kopf bewahren. Einander zu attackieren führte nirgendwohin.
Sid entwand sich ihrem Griff.
»Sieh an, Sid González ...« Takita hielt seinem Blick mühelos stand. In ihren Augen funkelte eine Wut, die Sue vertraut war. Das Virus mochte ihren Körper geheilt haben, an ihrer Seele war es gescheitert. Takita war verbittert wie eh und je. »Der Junge, der den Leuten aus der Hand frisst, die uns umbringen wollen, und zu blind ist, es zu bemerken.«
» Du bist blind! Wir haben es Mercant und Rhodan und Adams und ihren Leuten zu verdanken, dass wir hier sind! Ohne sie ...«
»Wofür sollen wir ihnen danken?«, schnitt ihm Takita das Wort ab. » Sie haben uns hier eingesperrt! Sie haben Tako umgebracht!«
»Takos Tod war ein Unfall!«
»Der nicht geschehen wäre, hätten uns diese gewöhnlichen Menschen in Frieden gelassen!«
»Sie wollten uns schützen!«, protestierte Sid.
»Sie haben uns benutzt, von Anfang an! Wir waren ihre Werkzeuge. Sie wollten uns als Waffen! Was in uns vorgeht, was wir wollen – das hat sie nicht interessiert! Ich war ein Krüppel, aber das hat niemanden gekümmert.«
Sue hielt es nicht mehr auf dem Sitz »Das stimmt nicht! Du hast dir nicht helfen lassen!«
»Was weißt du schon vom Leben, Mädchen? Weißt du, wie es sich anfühlt, ein Krüppel zu sein? Nicht einmal einen Finger rühren zu können?« Takita reckte die Arme in die Höhe, drehte sich langsam im Kreis. »Und jetzt? Seht mich an, was mit mir geschehen ist! Ich bin ein ganzer Mensch geworden! Meine Glieder gehorchen mir! Glaubst du, ich lasse mir das wieder nehmen?«
»Niemand will dir das nehmen!«
»Ja? Dann denk nach, Mädchen! Wenn dein verehrter Mercant die Wahrheit sagt und dieses Virus existiert – was wird das Antivirus mit mir anstellen? Mich wieder zu einem Krüppel degradieren? Willst du das?«
»Nein! Natürlich
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