PR NEO 0050 – Rhodans Weg
wusste nur, dass in ihm eine Sehnsucht war, der er nichts entgegenzusetzen hatte. Und dass diese Sehnsucht nicht um seiner selbst willen war, auch wenn er nicht hätte erklären können, wieso. Karl war der einzige Mensch, der sie zu verstehen schien.
Die Sicherheitsleute verließen den Bus wieder, die Schranke fuhr hoch und gab den Weg frei.
Der Bus brachte achtundvierzig Männer und Frauen an den Ort ihrer Träume. Achtundvierzig von mehreren Tausend, die sich beworben hatten, die ein halbes Dutzend zum Teil mehrtägige Prüfungsreihen an verschiedenen Orten der USA überstanden hatten. Die Hälfte von ihnen würde die Chance erhalten, Astronauten zu werden.
Es war Jahre her, dass die Weltraumbehörde eine derart große Zahl zuließ. Das Shuttle-Desaster hatte einen jahrzehntelangen, bedrückenden Schatten auf die NASA geworfen. Doch jetzt ging es wieder voran. Der Kongress hatte endlich die Gelder für die Entwicklung eines Shuttle-Nachfolgers freigegeben. Unbemannte Trägerraketen brachten Material und autonome Baumaschinen auf den Mond, wo eine permanent bemannte Basis im Entstehen war.
Perry Rhodan war bewusst, dass diese Entwicklung zu großen Teilen einem einzigen Mann zu verdanken war: Lesly K. Pounder, dem Flight Director der NASA.
Der Bus passierte die Halle, in der Rhodan sich das Handgelenk gebrochen hatte. Einen Augenblick lang fragte er sich, ob sich Pounder noch an ihn erinnerte, dann schob er den Gedanken weg. Für einen Mann wie Pounder würde er nur ein Gesicht unter Tausenden sein.
In der Nähe des Kontrollturms hielt der Bus an. Eine NASA-Angestellte erwartete sie. Sie musste Ende dreißig, Anfang vierzig sein, war klein und steckte in einem Kostüm, das an das einer Stewardess erinnerte, das sie aber wie ein Soldat seine Uniform trug. Ihr Make-up war dick, beinahe maskenhaft. In der Hand hielt sie ein digitales Klemmbrett.
Sie begann damit, die Namen der Bewerber in alphabetischer Reihenfolge aufzurufen.
»Nicht übel«, flüsterte Bull, nachdem er sein »Hier!« laut über den Platz gerufen hatte. »Ich glaube, mit den Kolleginnen hier könnte ich mich anfreunden.«
Rhodan nickte, aber ging nicht auf Bulls Bemerkung ein. Etwas störte ihn an dieser Frau, stellte seine Nackenhaare auf. Aber was?
Schließlich war Rhodan an der Reihe.
»Rhodan, Perry«, sagte die Frau.
»Hier«, antwortete er.
Sie tippte auf das Klemmbrett, sah auf. Einen Moment lang blieb ihr Blick an Rhodan hängen – und er erkannte, was ihn störte. Ihre Augen glitzerten kalt, leblos. Wie die der dicken Schwarzen im Bus nach South Hadley, als er mit sechs von zu Hause davongelaufen war. Sie hatte ihn verpfiffen. Wegen ihr hatte die Polizei auf ihn ...
Jemand knuffte ihn von der Seite. »Perry, los!« Es war Bull.
»Was ... was ist?«
Bull zog ihn sanft mit sich, zu einem Fahrstuhl. »Wir fahren runter, in einen Konferenzraum.«
»Wieso?«
»Keine Ahnung. Kleiner Scherz der NASA vielleicht. Wir sollen noch mal Mutter Erde spüren, bevor sie uns zum Mond schießen.« Bull grinste schief. »Aber du bist nicht schlecht, Perry. Keine fünf Minuten hier und schon verliebt.«
»Wie kommst du darauf?«
»Du bist komplett neben dir, Kumpel. Deshalb. Aber mach dir keinen Kopf. Hast du ihren Blick gesehen? Ihr geht es nicht viel besser ...«
Rhodan wollte widersprechen, aber entschied sich zu schweigen. Was hätte er seinem Freund sagen sollen? Dass er Gespenster sah?
Der Lift trug sie in die Tiefe.
»Da sind Sie ja, Sir!«, begrüßte ihn Whitman tadelnd, als er den Nebenraum der Halle betrat. Als arbeiteten sie nicht seit Jahren zusammen, kennte sie seine Gewohnheiten nicht in- und auswendig.
Lesly K. Pounder musterte sie. Sie war schmaler geworden, und in ihren Augen war eine Leere, die ihn beunruhigte. Und wann hatte sie eigentlich damit angefangen, ihr Gesicht unter einer ölig glänzenden Schicht Make-up zu vergraben?
»Sie brauchen Urlaub, Whitman«, sagte er.
Sie ging nicht darauf ein. »Die Bewerber warten, Sir!«
»Gut so. Sitzfleisch ist die wichtigste Fähigkeit des Astronauten.«
Es war die Art von markigem Spruch, die man von Pounder erwartete, doch an diesem Tag steckte mehr dahinter als seine übliche Trockenheit. Lesly K. Pounder war nervös.
Er fühlte mit diesen jungen Leuten. Einst war er an ihrer Stelle gewesen – und war gescheitert. Pounder hatte alle Prüfungen mit Bravour absolviert, doch im letzten Moment war der nicht korrigierbare Sehfehler aufgeflogen, den er verheimlicht
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