PR Odyssee 06 - Die Lebensboten
den Horizont des Beobachtbaren entweicht.
Die Folge des beschleunigten Universums ist, dass der Raum zwischen den Galaxiensuperhaufen - die nicht durch die Schwerkraft zusammengehalten werden wie etwa die Galaxien selbst - so rasant wächst, dass sie im Lauf der Zeit jeglichen Kontakt miteinander verlieren.
Selbst das Licht ist nicht schnell genug, um die dunklen Abgründe noch zu überwinden. Deshalb werden unsere fernen Nachkommen - und alle anderen intelligenten Zivilisationen -weder Energie noch Licht oder andere Signale aus dem Weltraum jenseits ihres eigenen Galaxienhaufens mehr empfangen können. Diese kosmische Isolation kommt zwar erst nach dem Tod unser Sonne, aber viel früher als das Ende aller Sterne: schon dann, wenn unser Universum ungefähr zehnmal älter ist als heute. Die künftigen Astronomen werden sich also beeilen müssen, um noch Kunde vom fernen Kosmos zu erhaschen bevor das letzte Licht verschwindet - eine Situation, wie sie bereits im Cezanne-Zitat ausgemalt ist.
Dieses Schicksal des Universums mag nur für Astronomen alarmierend sein, doch die Zeit, den Kosmos auszukundschaften läuft uns buchstäblich davon. Denn obwohl sich unser Horizont noch permanent weitet - also immer neue Informationen von noch ferneren Regionen ins Blickfeld der Teleskope geraten -, werden wir allmählich immer kurzsichtiger. Der Grund dafür ist, dass die beschleunigte Ausdehnung des Weltraums die fernen Lichtquellen buchstäblich über den Horizont hinauskatapultiert. Ihre Strahlung kann uns dann nie mehr erreichen, denn der Raum zwischen ihnen und uns expandiert schließlich schneller als das Licht. Astronomen witzeln schon, dies sei das beste Argument dafür, jetzt enorme Mengen an Forschungsgelder zu investieren, denn bald gäbe es kaum noch etwas zu gewöhntBald< heißt in den Zeitmaßstäben, in denen Kosmologen zu denken gewöhnt sind, ungefähr 150 Milliarden Jahre. Dann hat sich die Materie im Universum so weit verdünnt, dass nur noch etwa tausend Galaxien zu sehen sind - die Mitglieder unseres lokalen Galaxienhaufens und seiner engen Nachbarschaft. Die Nähe und Schwerkraft dieser Weltinseln ist so groß, dass sie die kosmische Expansion nicht zu trennen vermag. Aber alle anderen Galaxien verschwinden auf Nimmerwiedersehen.
Abraham Loeb von der Harvard University hat die düsteren Aussichten im Detail durchgerechnet und beschrieben, welche Konsequenzen das für unsere Sicht der Welt hat: »Das Erscheinungsbild der fernen Galaxien friert förmlich ein. Dieser Prozess ist analog zu dem, was man beobachtet, wenn eine Lichtquelle in ein Schwarzes Loch fällt: Überquert sie dessen Rand, den Ereignishorizont, scheint ihr Bild stillzustehen und verlöscht allmählich, weil uns kein neues Licht mehr erreichen kann.« Das bedeutet auch: Egal, wie lange man schaut, diese Objekte verändern sich nicht mehr, sie werden nur lichtschwächer. Wie die Leinwandhelden im Kino altern sie nicht. »Wir werden also niemals wissen, wie diese Objekte aussehen, wenn sie älter werden«, folgert Loeb. »Wir werden nicht mehr sehen, wie neue Sterne geboren werden oder alte sterben. Wir werden die Evolution der Galaxien nicht mehr weiterverfolgen können. Die Menge an erfahrbaren Informationen über das ferne Universum ist begrenzt.« Lawrence Krauss stimmt zu: »Unsere Fähigkeit, Neues über das Universum zu lernen, nimmt im Lauf der Zeit ab. Je länger man wartet, desto weniger wird man sehen - das ist das Gegenteil von dem, was wir immer dachten.« Der Physiker von der Case Western Reserve University in Cleveland, Ohio, hat schon früher ähnliche Überlegungen publiziert. »Wenn man dann in den Nachthimmel schaut, wird man immer noch Sterne sehen«, sagt er. »Aber für die Astronomen, die weiter hinausschauen wollen, wird der Himmel traurig leer erscheinen. Die Liebenden werden nicht verstört sein - die Wissenschaftler schon.«
Loeb hat ausgerechnet, dass wir beispielsweise die Strahlung eines gut zwölf Milliarden Lichtjahre entfernten Quasars - das ultrahelle Zentrum einer jungen Galaxie, die sich in diesem Fall etwa eine Milliarde Jahre nach dem Urknall gebildet hat - nur noch sechs
Milliarden Jahre lang beobachten können. Dann ist er am Horizont gleichsam festgefroren. Dieser galaktische Schnappschuss wird sich daraufhin nicht mehr verändern. Wie die Galaxie aussieht, wenn sie das heutige Alter des Universums erreicht, würden unsere fernen Nachfahren also niemals wissen, selbst wenn sie den Quasar unendlich
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