PR TB 042 Das Erbe Der Jahrtausende
gegen die Woge
schleimiger Gleichgültigkeit, die ihn mit sich reißen
wollte. Er fühlte sich wie in zähflüssigem Schlamm
festgehalten und spürte, wie sich innerhalb einer langen,
gleitenden Sekunde sämtliche Werte veränderten. Er war
nicht mehr Sherpa Carmichael, der ehrgeizige und vorbildliche Kapitän
der VASCO DA GAMA, sondern ein Mensch unter anderen Menschen. Alles,
was er bisher getan hatte, blieb unwesentlich.
Der gesamte Kosmos war eine mehrarmige Spirale angehäufter
Unwichtigkeiten.
Er stand auf.
Gleichzeitig merkte ein Rest seines Verstandes, jener Rest, der
noch nicht vom Fieber erfaßt worden war, wie Dashiel Falkayn
aufstand. Falkayn war betrunken wie Sherpa, aber er schwankte nicht.
Langes Training, dachte Sherpa.
Falkayn legte seinen Arm um die Schultern eines Mädchens und
hatte die Waffe in der Hand. Er mußte verschiedene Dinge getan
haben, ohne daß es Sherpa bemerkt hatte. In den Augen Falkayns
stand der blanke Irrsinn.
»Junge!« sagte er scharf und laut, hob die Waffe und
feuerte dicht vor Sherpa in den Boden.
Sherpa blickte ihn an, ohne sich zu bewegen, ohne sprechen zu
können. Es wurde alles immer gleichgültiger.
»Ich habe etwas erkannt«, sagte Falkayn, während
der Tanz unablässig weiterging und niemand sich um das kümmerte,
was die weißen Männer miteinander taten.
»Wir alle nehmen uns zu wichtig, Sherpa«, sagte
Falkayn. »Dabei gibt es nichts, das wirklich wichtig ist. Nur
das eigene Leben, das eigene gute Leben, das eigene bequeme Leben in
Reichtum und Unabhängigkeit. Ich schmeichle mir, eine
Kleinigkeit schneller und genauer zu denken als du. Und schneller zu
handeln.
Ich habe aus diesen beiden Gründen...« Er machte eine
wirkungsvolle Pause, in der er das Mädchen neben sich an sich
heranzog und küßte.
»... aus diesen Gründen folgendes getan:
Ich habe im Schiff - in deinem stolzen, erfolgreichen Schiff, du
Narr! - sämtliche Unterlagen aller sieben Planeten gelöscht.
Ich habe die sieben Bänder bei mir; meine eigene Sicherheit. Ich
werde jetzt dieses Mädchen mit mir nehmen, deine Waffe und
einige Jäger.
Ich werde in den Wäldern verschwinden.
Mein Ziel heißt MANETHO.«
Diese zehn Sätze brannten sich trotz des Rausches, trotz des
seelischen Fiebers, trotz der verwirrenden Spiralen des Tanzes und
der unwirklichen Szene wie Säurespuren auf einer Kupferplatte in
Sherpas Gedächtnis ein. Er blieb stehen, etwas hatte ihn in
seinem lähmenden Griff. Und überdies war alles sehr
gleichgültig.
Falkayn kam näher, das Mädchen ging mit ihm. Er richtete
die Waffe auf die Brust des Kommandanten und zog Sherpas Strahler aus
der Schutztasche. Er leerte die Magazine in die großen
Brusttaschen seines halblangen Anoraks und schlug dann den Saum
zurück.
»Hier«, sagte er schneidend, und seine Stimme war
unkenntlich für Sherpa, »hier habe ich die sieben Bänder.
Wasserdicht, strahlensicher und hitzefest.«
Die beiden Seitenverschlüsse einer Trommel von zwölf
Zentimetern Dicke und vierundzwanzig Zentimetern Durchmesser waren
durch den Gürtel gesteckt.
»Und jetzt. Junge«, schloß Falkayn, »ade.
Bei Philippi sehen wir uns wieder, Freund Sherpa. Versuche nicht, mir
zu folgen.«
Er ging vorsichtig rückwärts. Sherpa empfand nicht
einmal Verwunderung darüber, daß Dashiel Falkayn
terranische Dichter zitierte. Nach einigen Sekunden hatte er das
Feuer zwischen sich und Sherpa gebracht und verschmolz mit der
Dunkelheit der Umgebung. Die Trommel erfüllte die Luft noch
immer mit ihren krachenden Schlägen.
Die dichten Büsche schlugen hinter Falkayn und dem Mädchen
zusammen.
Sherpa erwachte aus seiner Erstarrung, besiegte für einige
Sekunden seine uferlose Gleichgültigkeit und rannte los. Er
taumelte am Feuer vorbei, versengte seine Hose, brannte das Leder des
Stiefels an und schlug sich durch die Spirale der Tänzer einen
Weg. Dann verfehlte er die Richtung, taumelte auf das Ufer zu und
brach besinnungslos neben dem Boot zusammen.
Von allem, was folgte, merkte er nichts mehr.
Am Morgen erwachte er mit einem widerlichen Geschmack im Mund, mit
schmerzenden Muskeln und überempfindlichen Nerven. Er fieberte
stark und fühlte sich so schlecht wie noch nie zuvor. Er bewegte
seinen heißen Nacken und sah das Mädchen neben sich im
Boot liegen. Sie schlief.
Er richtete sich mühsam auf, steckte den Kopf ins Wasser und
verspürte eine gewisse Erleichterung. Als er wieder neben dem
Boot stand, öffnete Alissar die Augen und sagte:
»Häuptlingstochter
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