PR TB 065 Die Welt Der Glückseligen
sich über ihn amüsierten, und mit einemmal kehrte
ein Teil seiner Energien zurück. Er wollte wenigstens versuchen,
die Pläne der Gegenseite zu durchkreuzen, ihnen das heimzahlen,
was sie ihnen heimtückisch zugedacht hatten.
Mühsam richtete er sich auf. Die Welt begann sich um ihn zu
drehen, als er wieder stand. Er kämpfte mit zusammengebissenen
Zähnen gegen das Schwindelgefühl an. Endlich vermochte er
wieder klar zu sehen.
„Schon gut, Alter“, lallte er. „Es geht wieder.“
Die Stunden bis zum Einbruch der Nacht waren ein Alptraum. Marat
hattejegliches Empfinden verloren. Zeitweise war es ihm, als schritte
er über daunenweiche Watte. Dann wieder narrten ihn
Halluzinationen. Er glaubte, vor sich eine Oase zu sehen, mit grünen
Palmwedeln, die sich im Wind wiegten. Hin und wieder tauchte vor ihm
die Gestalt seines Partners auf - ein rissiger Baumstamm mit langen
Armen, großen Händen und riesigen Füßen, der
über eine staubige Fläche torkelte.
In den wenigen hellwachen Augenblickenjedoch empfand Jean Pierre
Marat seine Füße als zentnerschwere Lasten, die er mühsam
hinter sich herschleifte. Er spürte das Brennen des ausgedörrten
Halses, die heftigen Stiche, die seinen Schädel durchführen
wie scharfe Dolche, und den aufgewirbelten Sand, der in Mund, Nase,
Ohren und Augen drang.
Als es dunkel wurde, sickerte aus seinem Unterbewußtsein
unendlich langsam die Erkenntnis, daß er nicht länger die
Qual der Hitze ertragen mußte. Er blieb stehen und sah, daß
auch McKay stehengeblieben war.
„Das war's für heute“, brachte McKay krächzend
hervor. „Alter, ich gehejetzt zu Bett, ob du einverstanden bist
oder nicht.“
Marat versuchte, den Klumpen zu bewegen, der einmal seine Zunge
gewesen war. Nach einiger Anstrengung gelang es ihm auch.
„Schlafe süß, Riesenbaby!“ lallte er.
Im nächsten Moment lag er im Sand, streckte sich und war
eingeschlafen.
*
Er erwachte zitternd und durchfroren. Die glühende Hitze des
Tages war spurlos verschwunden. Statt
dessen herrschte eine eisige Kälte.
Jean Pierre Marat versuchte, sich zusammenzurollen. Es nützte
nichts. Mit steifen Gliedern erhob er sich schwerfällig.
Irgendwo raschelte es; vielleicht ein Tier, das die Kühle der
Nacht zur Nahrungssuche ausnutzte. Marat hoffte, es möge kein
giftiges Reptil sein. Von links vorn kam rasselndes Schnarchen. Marat
legte den Kopf in den Nacken und starrte in den sternübersäten
Himmel von Homy. Er fragte sich, ob einer dieser Sterne Sol sei. In
seiner Lage dünkte ihm die ferne Erde wie ein Paradies. Er
seufzte.
Auf allen vieren kroch er in die Richtung, aus der die
Schnarchgeräusche kamen. Nach wenigen Metern stieß er
gegen den Körper seines Partners.
McKays Schnarchen verstummte. Er murmelte etwas. das wie „Laß
mir auch ein Stück Decke“ klang, dann setzte er sich
plötzlich auf. Deutlich vernahm Marat das Klappern von McKays
Zähnen. Unwillkürlich mußte er grinsen. „Einen
Whisky aufEis gefällig, Großer?“ McKay stieß
eine Verwünschung aus. „Was ichjetzt brauche, ist ein gut
geheizter Backofen, eine Badewanne voll Glühwein und ...“
„... und ein gut geöltes Gehirn!“ unterbrach
Marat ihn schroff. „In dieser Kälte werden wir uns eine
Lungenentzündung holen. Los, Großer! Erhebe dich.
Wirmüssenuns warmlaufen.“
McKays Gelenke knackten, als er sich mühsam aufrappelte. Er
stöhnte unterdrückt, dann schlug er die Arme mehrmals
kreuzweise übereinander.
Auch Jean Pierre Marat fror erbärmlich. Seine Zähne
klapperten, und er spürte, wiejedes Haar seines Körpers
sich sträubte. Dazu kam ein ausgewachsener Muskelkater, der wohl
von den Anstrengungen des Tagesmarsches herrührte. Aber die
Vernunft sagte ihm, daß er Bewegung brauchte, wenn er überleben
wollte, wie lange auch immer.
Roger McKay schnüffelte vorsichtig.
„Jetzt habe ich die Richtung wieder“, erklärte er
und deutete mit der Hand.
Marat setzte sich in Bewegung. Nach wenigen Minuten fiel er in
einen leichten Trab, wie er es den Eingeborenen von Lewiston
abgesehen hatte. Dabei mußte man sich völlig lockerhalten,
mit leicht vornübergeneigtem Oberkörper, herabhängenden
Armen und ohne die Knie durchzudrücken. Als er diese
Fortbewegungsart aufLewiston zum erstenmal beobachtete, hatte er
darüber gelacht. Bis er dahintergekommen war, daß man auf
diese Weise stundenlang mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von
acht Stundenkilometern laufen konnte.
Diesmal allerdings fühlte er sich bereits
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