PR TB 065 Die Welt Der Glückseligen
dich gesucht - und hier treffen
wir uns wieder.“
Sie lächelte unter Tränen.
„Und ich fürchtete schon, ich müßte den Rest
meines Lebens allein in einer unbewohnten Stadt verbringen. Aber
woher wußtest du, wo du mich finden würdest?“ Sie
gebrauchte ebenfalls das von Marat spontan verwendete „du“.
„Das ist eine lange Geschichte“, erwiderte Marat. „Ich
werde sie dir später erzählen. Nur noch eines: Wo befindet
sich der Wissenschaftler, den du abholen wolltest?“
Jovillas Miene verdüsterte sich.
„Er ist tot“, flüsterte sie. „Als wir in
die Halle der Lichter gerieten, drehte er plötzlich durch. Er
riß mir das Gewehr aus der Hand und erschoß sich.“
Jovilla erschauerte. „Es war entsetzlich, Pierre.“
„Das glaube ich dir gern.“
Marat legte einen Arm um ihre Schultern.
„Solche Sachen sind eben nichts für kleine Mädchen.“
Jovilla riß sich los und starrte ihm wütend ins
Gesicht.
„Kleines Mädchen! Du gehörst wohl zu den Männern,
die die Gleichberechtigung wieder abschaffen möchten. Ich kann
ganz gut allein meinen Mann stehen.“
Marat lachte.
„Wenn du zornig bist, siehst du noch entzückender aus
als sonst. Nein, im Ernst: Meine Bemerkung war nicht auf dein
Geschlecht, sondern auf deine Jugend gemünzt. Schließlich
bist du höchstens vierundzwanzig Jahre alt, Studentin der
Kosmohistorik und kein ,Veteran' der Galaktischen Abwehr wie ich.“
„Galaktische Abwehr ...?“ Sie blickte ihn verwundert
an. „Ich denke, du bist Inspekteur der GCC?“ Marat
nickte.
„Nur offiziell. Übrigens arbeite ich nicht für die
GA, sondern für mein privates Ermittlungsbüro und im
Auftrag der GCC. Mein Partner und ich sollen die Hintergründe
der mysteriösen ,Unfälle' beim Projekt Positrel aufdecken.“
Er kratzte sich am Kinn; es gab ein schabendes Geräusch, da
die nächste Rasur längst fällig gewesen wäre.
„McKay ist übrigens verschwunden. Er drang mit mir
zusammen in das Ruinenlabyrinth ein. Plötzlich war er nicht mehr
da, als hätte er sich in Luft aufgelöst. Ich mache mir
ernsthaft Sorgen um ihn.“
Er brach ab und wechselte abrupt das Thema.
„Wie lange bist du eigentlich schon in dieser seltsamen
Stadt, Jovilla?“
„.Seltsam' ist stark untertrieben. Etwa zwei Tage.“
Jovilla schlug gegen die geräumige Tasche an ihrem Kombigürtel.
„Ich habe noch Verpflegung für weitere zwei Tage, außerdem
...“, sie schüttelte ihre Wasserflasche, „... keinen
Tropfen Wasser mehr. Allerdings gibt es in der Stadt Springbrunnen.
Nur Nahrungsmittel konnte ich nicht entdecken. Die Bewohner müssen
sie mitgenommen haben, als sie den Planeten verließen.“
„Wie...?“ Marat schluckte trocken; Jovillas letzte
Worte hatten eine bis dahin im Unterbewußtsein schlummernde
Ahnung geweckt. „Wie kommst du darauf, sie hätten nicht
nur die Stadt, sondern den Planeten verlassen?“
Jovilla lächelte ironisch.
„Nun, ich bin zwar kein Mann, aber Studentin der
Kosmohistorik. Und ich kenne die rekonstruierte Geschichte der
Glückseligen relativ gut. Vor allem aber weiß ich, wie sie
im großen und ganzen bauten. Diese Gebäude hier...“,
sie deutete auf die Decke der Mosaikhalle, „... finden sich als
Ruinen in ungefähr dreieinhalb Millionen Jahren wieder.''
Ihr Gesicht wurde ernst.
„Vor dieser Zeit müssen die Glückseligen aus noch
ungeklärten Gründen ihre Heimat verlassen haben. Über
rund eine Million Jahre hinweg blieben die Bauten unberührt.
Dann mußjemand gekommen sein und Veränderungen vorgenommen
haben. Recht primitive Anlagen mit einem Alter von höchstens
zweieinhalb Millionen Jahren zeugen davon. Nur etwas paßt nicht
zu der primitiven Bauweise dieser anderen Wesen, die ihre Bauten mit
Wendeltreppen anstatt mit Antigravschächten versahen: erstens
das Material, nämlich Glasfaserplaston und Metallplastik, und
zweitens der hervorragend getarnte Zeittransmitter und seine
,wandernde' Justierung, die den Benutzer exakt in die Zeit versetzt,
zu der die Glückseligen ihren Planeten eben erst verlassen haben
konnten.“
Nun war es heraus. Das, was Marat nicht hätte auszusprechen
wagen, hatte eine Studentin der Kosmohistorik so gelassen
vorgebracht, als hielte sie ein Referat über antike Ornamente.
„Bist du sicher?“ fragte Marat. Es klang ziemlich
gedrückt. Jovilla nickte. „Völlig sicher, Pierre.“
Jean Pierre Marat senkte den Kopf und starrte nachdenklich auf das
abstrakte Mosaik.
„Ich weiß nicht“, murmelte er, „wie
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