PR TB 065 Die Welt Der Glückseligen
daß sie sogar einen
intensiven Kontakt zur Umwelt haben. Hätten sie sonst ihre
körperliche Existenz gegen die vergeistigte eingetauscht?“
„Na schön, Alter“, meinte Roger McKay und kratzte
sich nachdenklich hinter dem Ohr. „Demnach müßten
sie wissen, daß wir uns in ihrem ,Heiligtum' befinden.
Wahrscheinlich kennen sie sogar unsere Gedankengänge. Warum also
nehmen sie keine Verbindung mit uns auf?“
„Vielleicht können sie das nicht“, warf Jovilla
ein. „Für ihre Begriffe mag unsere Materie zu grob
strukturiert sein.“
Marat blickte grübelnd vor sich hin. Er glaubte, daß
die Glückseligen sowohl ihre Gedanken erkennen als sich ihnen
auch verständlich machen konnten. Wahrscheinlich waren sie nur
nicht daran interessiert. Sie hofften möglicherweise, daß
die ungebetenen Besucher bald wieder verschwinden würden.
Aber wenn sie schon nicht wollten, konnte man sie nicht vielleicht
dazu zwingen ...?
Plötzlich glaubte er, die Lösung gefunden zu haben.
Dann konzentrierte er sich völlig auf den Vorsatz, die
Energieaggregate der Glückseligen abzuschalten oder zu
zerstören.
Im nächsten Augenblick stürzten wallende rosa Schleier
von der Hallenkuppel, hüllten Marat und
seine Gefährten ein - und sogen sie in sich auf.
Sein Bewußtsein irrte umher wie ein verirrter Falter. Es
versuchte der fremden Gedankenflut zu entrinnen, die von allen Seiten
auf es eindrang.
Es wußte, daß es Jean Marat war, daß es zum
Körper eines Mannes dieses Namens gehörte - oder gehört
hatte. Zugleich aber waren da die gedanklichen Manifestationen
anderer Bewußtsein. Die unsichtbaren Grenzen verwischten sich.
Marat - oder sein Bewußtsein - wußte, was Jovilla
dachte, was Roger, Mersin und Loggy dachten. Und er wußte auch,
daß sie seine Gedanken kannten, daß sie vor ihnen ebenso
schonungslos offen ausgebreitet lagen wie ihre vor ihm.
Doch da waren noch andere Gedanken - unzählige, ein ganzer
gewaltiger Strom, der ruhig und gleichmäßig in einer
Richtung verlief.
Ein Strom tastender, sondierender Gedanken: unzählige Fragen,
Verwunderungen, Mitleid und schmerzliche Enttäuschung.
DannAblehnung ...!
Jean Pierre Marat preßte die Handflächen an die
Schläfen und schrie. Er glaubte, seine Schädeldecke
bestünde aus glühendem Metall und sein Gehirn müsse
verbrennen. Vor seinen Augen wogten rosa Schleier - und verschwanden
plötzlich. Gleichzeitig verschwanden die Schmerzen. Nur tiefe
Erschöpfung blieb. Marat sank zu Boden und fiel in einen
traumlosen Schlaf.
Als er erwachte, fühlte er sich erfrischt. Behutsam setzte er
sich auf und blickte sich um.
Neben ihm richtete sich soeben Jovilla auf. Weiter weg lagen
McKay, Mersin Thusa und Gabriel Logsmith.
„Was war das?“ flüsterte Jovilla und rückte
dicht an Marat heran.
Er legte ihr den Arm um die Schultern und drückte sie an
sich, als könne er sie dadurch vor Gefahren beschützen.
„Ich war an allem schuld“, sagte er. „Hattest du
auch das Gefühl, nur noch geistig zu existieren?“ Jovilla
nickte.
„Es war grauenhaft. Ich ... ich wußte alles, was ihr
und die anderen dachtet. Die anderen: Waren das die Glückseligen?“
Marat nickte.
Inzwischen erwachten auch die Gefährten und überfielen
ihn mit ihren Fragen.
Jean Pierre berichtete ihnen, wodurch er den ganzen Vorgang
ausgelöst hatte, und schloß:
„Die Glückseligen nahmen offenbar meine gedachte
Drohung ernst. Sie holten uns zu sich, wie, das vermag ich nicht
einmal zu vermuten. Jedenfalls verschmolzen unsere Gedanken mit den
ihren, sie erkannten unsere wirklichen Absichten und wahrscheinlich
auch, daß wir noch längst nicht reif sind, in ihren
Kollektivgeist aufgenommen zu werden. Deshalb stießen sie uns
wieder aus.“
„Ich erinnere mich“, flüsterte Logsmith, „an
Verwunderung und Mitleid ...“
„Und an Enttäuschung und Ablehnung“, ergänzte
Mersin Thusa. „Aber warum waren sie enttäuscht? Wir stehen
schließlich nicht mehr auf der untersten Stufe der Evolution!“
Marat lächelte entsagend.
„Alles ist relativ, Dad. Für die Glückseligen
stehen wir vielleicht nicht höher als ein Gorilla für uns.
Bezeichnend für ihre geistige Reife ist wohl, daß sie
weder Verachtung noch Feindseligkeit für uns empfanden, sondern
im Gegenteil schmerzlich davon berührt waren, daß wir
ihren Stand noch nicht erreicht haben. Wesen, die zu einem
Kollektivgeist verschmolzen sind, sehnen sich offenbar nach
Gesellschaft. Aber sie können niemanden aufnehmen,
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