PR TB 095 Die Spur Des Gehetzten
ich. »Binnen drei Tagen
erkrankt man, wenn man sich angesteckt hat, an der Pest. Wenn wir
beweisen können, seit mehr als drei Tagen zu reiten, kommen wir
als Pestträger nicht in Frage. Außerdem widerstrebt es
mir, innerhalb der Stadtmauern zu wohnen. Wir haben genügend
Münzen, um uns ein kleines Haus zu mieten.«
»Das sollten wir tun, Liebster!« sagte sie.
»Schließlich reisen wir in der Maske von Edelleuten.«
Ich lachte bitter und fragte zurück: »Und was sind wir
wirklich?«
Ich bekam keine Antwort.
Wir ritten langsam an das Stadttor heran. Ein Wagen, umgeben von
schwarzgekleideten Gestalten, kam uns entgegen. Dumpfer Gesang
ertönte, und man fuhr die Pesttoten aus der Stadt heraus in ein
Massengrab. Ich spähte in die Gesichter der Torwachen: keine
glänzende Augen, kein pfeifender Atem und keine schwärzlichen
Flecken auf der Haut. Also hatte die Pest noch nicht mit voller Wucht
zugeschlagen. Langsam traten uns die Wachen entgegen und hielten die
Hellebarden holz.
»Woher des Wegs?« fragte eine müde Stimme.
Ich sah in die dunklen Augen des Mannes, die unter dem Schild der
Eisenhaube hervorsahen. »Aus Spanien. Wir suchen ein Haus,
Freund, das wir mieten können. Es muß außerhalb der
Stadt liegen.«
Der Posten musterte mich träge und lächelte, als er
Alexandra sah. Sein Blick war stumpf und resignierend.
»Ihr geht am besten zu Herrn de la Ramée. Seine
Familie ist ausgestorben, und er ist in die Stadt gezogen.«
Ich warf ihm ein Goldstück zu und fragte leise: »Wo
finde ich ihn?«
»In der zweiten Gasse nach dem Brunnenplatz, im Haus des
Goldschmieds. Soll ich Euch hinführen?«
Ich nickte.
»Ich bitte darum. Kann ich die Packpferde hier lassen?«
»Ja. Seit wieviel Tagen seid Ihr unterwegs?«
»Mehr als zehn Tage«, erwiderte Alexandra. »Und
wir tragen nicht die Pest in uns.«
Der Posten übergab die Zügel der Packpferde und seine
Waffe einem anderen Mann, der sich faul aus dem Schatten erhob.
Zerberus machte ein paar Sätze und blieb bei den Tieren. Er
würde jeden angreifen, der sich an den Satteltaschen zu schaffen
machte. Der Mann in der Eisenhaube und der rostenden Rüstung
griff nach den Zügeln meines Tieres, führte uns unter dem
Tor hindurch und in die Stadt hinein. Gedämpfter Lärm und
ein unaussprechlicher Geruch kamen uns entgegen. Die Hufe der Pferde
traten auf Laub, auf Lumpen und in Schlamm. Aufgeregt flatterten
Hühner vor uns auf und setzten sich auf die Brüstungen der
schmalen Fenster. Unsere Köpfe stießen fast an die Balkone
der Häuser. Keifende Frauen, schreiende Kinder, und zwischen
ihnen lagen die toten Ratten. Zu einem großen Teil waren diese
Menschen selbst daran schuld, wenn die Pest sie dahinraffte - es
herrschten unbeschreibliche hygienische Zustände. Schließlich,
nachdem wir gebührend angegafft worden waren, gelangten wir vor
das Haus des Goldschmiedes. Ich stieg aus dem Sattel und achtete
darauf, nicht mitten in eine Schlammpfütze zu treten. Vom
obersten Fenster des Nachbarhauses schüttete jemand einen Topf
voller Urin auf die Straße. Alexandra duckte sich unwillkürlich
und sagte:
»Es wäre schön, wenn wir bald wieder die Stadt
verlassen könnten.«
»So ist es«, sagte ich. »Ich eile, Herrin.«
Wir lächelten uns zaghaft zu, dann folgte ich dem Posten
durch eine schmale Tür in den dunklen Laden eines Goldschmiedes
hinein. Der Mann saß hinter einer Glaskugel, die Strahlen und
Helligkeit wie eine Linse sammelte und sah auf, als wir eintraten.
Der Posten hob die Hand und sagte:
»Sei gegrüßt, Gevatter! Wir suchen Herrn de la
Ramée.« Der Goldschmied entblößte ein paar
schwarze, schiefe Zähne und murmelte:
»Oben. Er schläft. Vielleicht ist er krank. Sein Leben
liegt... « .
»... in der Hand des Herrn«, sagte ich. »Ich
suche noch jemanden. Einen Mann, der Gold oder Silber in
Scheidemünzen umgetauscht hat. Er ist groß, schlank, hat
einen Bart.«
Ich malte mit dem Finger die Umrisse des Bartes, aber der
Goldschmied schüttelte seinen grauen, faltigen Kopf.
»Nicht bei mir, Herr!« sagte er und hustete. Seine
Lider waren bleiern und schwer, die Zunge schien geschwollen zu sein.
Ich überlegte schnell ...
Keine Wunderheilungen! Du deckst deine Maske auf! Erst dann, wenn
du den Fremden gefunden hast! rief der Extrasinn. Wieder ein Mann,
der sich angesteckt hatte, ohne es zu wissen. »Wieviel
Goldschmiede gibt es noch hier?« fragte ich und scheute mich
plötzlich, in das Treiben dort draußen zurückzukehren.
Ich gab
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