PR TB 095 Die Spur Des Gehetzten
Glaube und das
Verhalten der Menschen in diesen Städten, dreizehneinhalb
Jahrhunderte nach der »Zeitwende«, war dumpf und
irrational. Sie glaubten inbrünstig, aber sie glaubten auch
falsche Lehren. Sie ließen ihr Handeln nicht allein von der
Vernunft, sondern von mannigfachen und undurchsichtigen Maximen
bestimmen. Die Stadt, aufgebaut wie ein flacher Hügel aus vielen
kleinen Kuben, war das beste Beispiel. Die hellen Türme der
Kathedrale, die mit hochkünstlerischem Aufwand erbaut worden
war, umgeben von den rußigen Rauchsäulen der Essen und
Schlote, sahen aus wie riesige Nadeln, die alle Menschen festgespießt
hatten. Mich schauderte, und ich drehte mich im Sattel wieder um.
»Dort vorn ist es, Herr !« sagte der Mann mit dem
Lederwams und den eisernen Schulterkugeln. Wir folgten einem Bach,
der sich entlang eines waldigen Streifens verbreiterte und aufgestaut
war. Jenseits eines kleinen Sees, idyllisch von Wasserlilien
bewachsen, erhob sich ein massiv gemauerter Bau, von Erkern und einem
roten Ziegeldach gekrönt. Alexandra zügelte ihr Pferd, und
wir bogen in einen verwilderten Garten ein.
»Sehr schön!« sagte ich.
Wir waren in scharfem Trab etwa zwanzig Minuten geritten. Der
Druck ahnungsvoller Gedanken begann zu weichen. Hier würden wir
Ruhe finden, von hier aus konnte ich meine Suche nachdem Fremden
betreiben, ohne allzusehr aufzufallen.
Wir hielten vor dem Tor, das am Ende einer Aufschüttung lag.
Hier floß das aufgestaute Wasser über. Um uns war nur das
schwache Rauschen riesiger, uralter Bäume. Ober den Quadern des
Wasserbauwerks erhoben sich glatte, verwitterte Wände mit vielen
Fenstern. Es sah verfallen aus,
- aber einige Tage Arbeit würden dieses
Haus wieder im alten Glanz erstrahlen lassen. Ich stieg ab und sagte
zum Posten:
»Kannst du uns die Knechte bald herbeischaffen? Ich zahle in
Gold - und denke an die Medizin aus Spanien.«.
Wir öffneten mit ein paar Fußtritten die Tür,
gingen hinein und stolperten über quiekende Ratten. Staub tanzte
unter unseren Schritten. Das Gebäude hatte drei Stockwerke; die
Küche befand sich ganz unten, mit einem Fenster dicht über
der Wasserfläche. Wir rissen sämtliche Fenster auf, sahen
uns um und waren soweit ganz zufrieden.
»Ich bin in zwei Stunden mit den Leuten wieder zurück«,
versprach der Wachtposten und galoppierte davon. Ich machte mich
daran, einen Teil des Stalles zu säubern, versorgte die Pferde
und trieb sie dann in den Garten, wo sie augenblicklich zu grasen
begannen. Gegen Mitternacht hatten wir es geschafft:
Sämtliche Räume waren geputzt, gekehrt und mit heißem
Wasser gesäubert, dem ich reinigende, antibakterielle Substanzen
aus dem alten Flottenvorrat von ARKON beigegeben hatte. Überall
brannten in den Kaminen gewaltige Feuer. Zerberus tötete große
Mengen von Ratten. In der Küche wurde gearbeitet, alle
verrotteten Gegenstände, aller Abfall waren im Hof zu einem
riesigen Berg zusammengetragen worden, den ich anzündete. Ich
stellte mit Alexandra die Liste der notwendigen Gegenstände
zusammen, die wir in der Stadt einkaufen mußten. Die Knechte,
Mägde und Diener waren von mir gegen die Pest geimpft worden,
auch der Posten, und als man den alten, todkranken Mann brachte,
wandte ich alles an, was ich hatte, um ihm zu helfen. Ich legte ihm
sogar meinen Zellaktivator auf die Brust, und wir hofften, Herrn de
la Ramée retten zu können.
Wir sanken todmüde in die frischbezogenen Betten, bliesen die
Kerzen aus und umarmten uns.
Morgen beginnt die Suche! flüsterte der Extrasinn.
Wir saßen in einem großen Alkoven, dessen drei
schmale, oben spitz zulaufende Fenster einen Blick auf den Teich
gestatteten. Zwischen uns befand sich ein reichgedeckter Tisch. Wir
trugen neue Kleidung, hatten uns in einem gewaltigen Bottich gebadet
und fühlten uns nach vielen Tagen wieder einmal ausgeschlafen
und guter Laune.
»Ich werde hier die Arbeiten beaufsichtigen«, sagte
Alexandra. »Und du gehst in die Stadt und erkundigst dich bei
den Goldschmieden und Kaufleuten?«
»So war es geplant«, sagte ich. »Welche Maske
wird der Fremde diesmal benutzt haben? Ich fühle, daß er
in der Stadt ist, denn dort kann er sich gut verbergen.«
Ich hatte alle meine Falken aktiviert, die sich an der Rattenjagd
beteiligten und die toten Nagetiere, die die Pest verbreiteten, in
die Glut des riesigen Feuers warfen. Die Knechte arbeiteten bereits
im Garten. Sie harkten Unmengen Laub zusammen, schnitten tote Äste
ab, säuberten die Wege,
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