PR TB 095 Die Spur Des Gehetzten
setzten hier und dort neue Balken ein.
Auf meine Anordnung hin hatten sie sich baden müssen, waren mit
neuen Kleidungsstücken versorgt worden, und wir konnten sicher
sein, daß in diesem Haus niemand an der Pest sterben würde.
»Es kommen nicht viele Masken in Frage«, sagte ich
nachdenklich. »Edelmann, Reisender, Wissenschaftler ... ein
paar Beispiele.«
Alexandra hob einen leicht zerbeulten Pokal und zwinkerte mir über
dessen Rand hinweg zu.
»Du wirst ihn finden. So wie du die Schwarze Burg gefunden
hast ... damals.«
»Hoffentlich finde ich ihn bald!« erwiderte ich.
Dann stand ich auf, öffnete und schloß ein paar Türen
und betrat das Zimmer, in dem ein junges Mädchen saß und
den alten Mann pflegte.
»Wie geht es ihm, Ludwiga?« fragte ich.
Sie sah auf. Die Morgensonne durchflutete den Raum, der nach
frischem Wasser und Reinigungsmitteln roch.
»Schon viel besser, Herr. Seine Augen glänzen nicht
mehr, der Atem pfeift nicht mehr, und seine Stirn ist nicht mehr
heiß. Er schläft seit zehn Stunden, seit ich ihm die Brühe
eingeflößt habe.«
Ich beugte mich nieder und untersuchte den Mann. Ich nahm dem
Aktivator von seiner Brust, horchte ihn ab und sah, daß der
Körper sorgfältig gewaschen und eingesalbt worden war. Die
holzigen Knoten in der Leistengegend, im Hals und in den Achselhöhlen
waren weicher und kleiner geworden. Herr de la Ramée war
gerettet. Seine Lippen zeigten schon wieder kräftige Farbe.
»Wenn er aufwacht, gib ihm den Rest der Brühe und
schlage ein paar Eier hinein. Und drei Löffel von dieser
Medizin.« Sie stand auf und verbeugte sich. Wir hatten sie aus
dem Waisenhaus der Stadt geholt, und das neunzehnjährige Mädchen
herwies sich als sehr geschickt. Ich stand auf und sagte:
»Nachdem du ihn gefüttert hast, gehe zur Herrin und
suche dir dann ein Zimmer und ein Bett. Schlafe dich aus.«
»Jawohl, Herr!« sagte sie.
Ich verließ das Zimmer. Vielleicht war es möglich,
unbemerkt und ohne großen Aufwand den Kreis der Personen, die
gegen die, Pest immun waren, zu vergrößern. Wenn ich hier
mit Wunderheilungen aufwartete, würde sich der Zorn der Menge
gegen mich kehren, und ich landete wegen Ketzerei im Gefängnis.
Abgesehen davon, daß ich mich sehr schnell würde befreien
können, hielt ich nichts von dieser Aussicht. Ich hatte ein
genau definiertes Ziel.
Eine halbe Stunde später war ich am Stadttor. Man erkannte
mich wieder und ließ mich ein.
Ich zog den flüchtig gezeichneten Stadtplan aus der Tasche,
den ich nach einem Photo des Falken angefertigt hatte. Etwa fünfzehn
Stellen waren vermerkt, an denen ein Fremder Geld tauschen konnte.
Einen Teil der in Frage kommenden Händler und Goldschmiede
konnte ich besuchen,
ohne aufzufallen, denn ich mußte viele Dinge einkaufen. Mit
den Münzen, die meine Maschinen nach den genauen Vorlagen
geprägt hatten, würde ich zahlen. Ich hatte genug davon.
Ich fing mit der Suche und mit den Einkäufen an.
Meine Liste wurde immer kürzer, und ich bat die Kaufleute,
ihre Boten gegen Abend ins Haus des Herrn de la Ramée zu
schicken, weil ich sie dort entlohnen würde. Überall
spielte sich derselbe Dialog ab.
»Herr«, fragte ich, »vor etwa einem Monat oder
einigen Tagen mehr oder weniger kam ein Fremder in diese Stadt, ein
Freund von mir. Er muß Edelmetall gegen Geld gewechselt haben,
Gold gegen Münzen, oder Silber. Hat er bei Euch gewechselt? Hat
er bei Euch eingekauft?«
Man fragte mich, wie der Fremde ausgesehen habe, und ich
schilderte ihn.
Kopfschütteln.
»Fragt Eure Diener, ob sie ihn gesehen haben!«
Die Diener und Handwerksgehilfen wurden gefragt, auch sie wußten
nichts. Nur einmal sagte ein Junge, er habe gehört, daß in
Meister Uhrenmachers leerem Turm ein Alchimist hause, aber er wisse
nichts Bestimmtes.
»Wir haben niemanden gesehen, Herr!« war die Antwort.
»Ich danke Euch. Bringt die Waren heute abend zu mir, ja?«
»Wir werden pünktlich sein, Herr.«
Die Stadt: ich wunderte mich über die schroffen Gegensätze.
Während ringsum die Menschen starben - der Tod trat durch
Herzversagen bei einer heftigen Bewegung ein - hasteten die Lebenden
weiter und taten nicht viel, um sich zu schützen. Oft wurden die
Kranken in die städtischen Spitäler gebracht, in denen sie
dem Tod entgegenröchelten. Niemand räumte den
unbeschreiblichen Dreck von den Straßen, niemand kümmerte
sich um die verendenden Ratten, niemand machte sich Gedanken darüber,
daß die Schweine, die sich in diesem Dreck wälzten,
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