PR TB 095 Die Spur Des Gehetzten
mir einen Ruck, erwiderte den fragenden Blick des Postens und
sagte:
»Danke, Gevatter Goldschmied. Mit Euch, Posten, muß
ich später sprechen. Gehen wir hinauf.« Der Goldschmied
ergriff einen zierlichen Hammer und begann, auf eine kleine, ovale
Platte zu schlagen. In seinen gichtigen Fingern befand sich ein
zierlicher Meißel oder Stichel. Wir
verließen den Raum, befanden uns in einem engen
Treppenschacht, der schräg durch das Haus nach oben führte.
Die Treppe knarrte verdächtig, aber endlich kamen wir in einen
halbdunklen Raum, in dem ein röchelnder Mann in einem Bett lag,
dessen Vorhänge zugezogen waren. Ein Fenster stand halb offen
und gab den Blick in einen winzigen Hof frei, in den sich die
Sonnenstrahlen nur an einer Stunde des Tages hineinwagten, nämlich
zur Mittagszeit. »Herr de la Ramée?« fragte ich.
Mit einiger Phantasie konnte man aus dem langgezogenen Stöhnen
ein »Ja!« heraushören.
»Gebt acht, Herr«, sagte ich. »Ich möchte
Euer Schlößchen mieten, für einen Monat oder deren
zwei. Ich zahle mit Gold, und vielleicht kann ich Euch auch in Eurer
Krankheit helfen.«
Der Posten ergriff eine Unschlittkerze, schlug Feuer, blies auf
den Schwamm und entzündete die Kerze. Dann klirrten Ringe, und
eine in der halben Dunkelheit gelb erscheinende Hand schob den
Vorhang an der Längsseite des sargähnlichen Bettes zur
Seite.
»Ihr wollt ... mein Haus mieten?«
»In der Tat«, sagte ich mit Bestimmtheit. Zwei
riesige, fiebrige Augen musterten mich neugierig. »Aber ...
dort sind viele am Schwarzen Tod gestorben«, sagte der Mann. Er
war alt und zerbrechlich, und in vier oder fünf Tagen würde
er nicht mehr leben.
»Ich miete das Haus«, sagte ich starrköpfig. »Mit
allem, was. sich darum und darinnen befindet. Und Ihr, Herr Ramée,
laßt Euch heute noch dorthin tragen - ich werde Euch helfen.
Ich bringe gute Nachrichten und gute Medizin aus Spanien mit. Ich
brauche auch Mägde und Knechte und einige Diener für meine
Dame und für mich.«
»Nehmt das Haus, in Gottes Namen!« sagte der alte Mann
mit zitternder Stimme. »Geht! Alles ist verflucht! Euer Leben
und meines, das Haus und ... «, seine Stimme brach.
Ich winkte dem Posten und stolperte die vielen, hohen Stufen
hinunter. Der Gestank in der Gasse erschien mir wie frische Luft. Ich
packte den Mann neben mir an der Schulter und sagte: »Du fühlst
dich gesund?«
»Ja, Herr.«
»Kannst du deinen Posten am Tor verlassen, ohne Ärger
zu bekommen?«
Er starrte mich verwirrt an und zwinkerte überrascht, als ein
zweites Goldstück in seine Hand glitt.
»Ja. Ich kann. Was wollt Ihr von mir, Herr?«
»Erstens sollst du uns zum Haus des Herrn de la Ramée
führen. Zweitens sollst du für Mägde, Knechte und
Diener sorgen. Und drittens sollst du heute abend den Herrn dort oben
in sein Haus zurückbringen. Kann ich diese Aufgabe in deine
Hände legen?«
Der Posten legte seine Rechte auf die Brust und beteuerte: »Herr,
ich bin Mitglied der Schützengilde. Ich bewache diese Stadt,
aber ich sehe, daß es nichts nützt. Ich werde tun, was Ihr
verlangt. «
»Recht so!«.sagte ich. »Dann besorge dir ein
Pferd und reite uns voran.«
»So soll es sein!« sagte er.
Ich stieg in den Sattel, winkte Alexandra, und wesentlich
schneller, als wir hineingeritten waren, verließen wir Bordeaux
wieder. Auch diese Stadt würde in den nächsten Wochen
sterben, und dieses Mal sah ich mich außerstande, in größerem
Maß zu helfen. Die gepeinigten Menschen kehrten sich von der
Kirche ab, veranstalteten in ihrer Hysterie, von der Angst
geschüttelt, Geißlerumzüge und sangen finstere
Lieder, riefen längst vergessene Satanskulte ins Leben, und
Juden, denen man vorwarf, die Brunnen vergiftet zu haben, wurden
gesteinigt. Man veranstaltete Progrome, meist nur ein Vorwand, sich
das Eigentum dieser Minderheit anzueignen. Wir atmeten auf, als wir
das Stadttor erreichten. Zerberus stand regungslos neben den
Packpferden, die die Köpfe hängen ließen. Aus dem
Stall in der Nähe der Wachstube holte unser neuer Freund ein
Pferd, schwang sich in den Sattel und rief:
»Folgt mir bitte, Herr! Etwa eine halbe Stunde wird es
dauern, wenn die Pferde nicht zu müde sind.«
Hinter uns blieben die Mauern der Stadt zurück, die kleinen
Hütten und die Gärten im Vorfeld der Befestigungen, die
Mühlen und die vielen fast senkrecht in den Himmel steigenden
Rauchsäulen. Auch Bordeaux machte keine Ausnahme, sondern
verstärkte meine Gedanken noch
- das Bewußtsein, der
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