PR TB 096 Das Mädchen Aus Dem Nirgendwo
können.
*
Lorelei glitt wie eine Traumwandlerin an Professor Farkas’
Seite über die Förderbänder der Schiffskorridore.
Rings um sie waren Leute, Menschen der verschiedensten Völker in
verschiedenartigsten Trachten. Menschen mit bläulicher Haut,
Menschen von großem und kleinem Wuchs und Menschen, die so
breit wie groß waren. Die Frage brannte ihr auf der Zunge,
woher diese Menschenarten alle kamen. Wieso die einen groß und
dünn waren und wieso die Haut der anderen einen bläulichen
Teint besaß. Wieso die einen sich beim Anblick der Schaufenster
und Geschäfte erregten, die anderen gelangweilt blieben. Es war
ihr unverständlich, dass es Menschen gab, die von der hektischen
Atmosphäre nicht erfasst wurden, sondern am Rande des Trubels
standen und alle Vorbeigehenden mit wachsamen Blicken bedachten.
»Das sind die Ordnungshüter«, erklärte
Professor Farkas. »Sie haben darauf zu achten, dass die Menge
nicht außer Rand und Band gerät. Wenn es irgendwo Unruhen
gibt, müssen sie
eingreifen und die Ordnung wieder herstellen.«
Dabei beobachtete er sie von der Seite. Sie merkte seinen
prüfenden Blick und lachte ausgelassen.
»Sie haben mir nicht zuviel zugemutet, Professor«,
meinte sie. Dann wurde sie um eine Spur ernster. »Ist es nicht
seltsam, dass ich gewisse Dinge sofort begreife, kaum, dass Sie mir
ein Stichwort geliefert haben? Und andere Dinge begreife ich wieder
überhaupt nicht, selbst wenn ich stundenlang darüber
grüble.«
»Es kommt auf das Stichwort an«, erklärte
Professor Farkas. »Wenn ich mit einem Stichwort auf Dinge
hinweise, die in Ihrem Unterbewusstsein gespeichert sind, dann
begreifen Sie. Wenn Sie aber mit Gegebenheiten konfrontiert werden,
die Sie auch vor Ihrer Amnesie nicht gekannt haben, dann bleiben
sie Ihnen naturgemäß
unbegreiflich. So einfach ist
das.«
So einfach war es natürlich nicht. Denn Professor Farkas war
noch nie ein Fall von Amnesie vorgekommen, wo der Betroffene auf
bloße Stichworte so exakt assoziierte wie Lorelei. Er bedauerte
es immer mehr, dass er sie nicht bis zur endgültigen Heilung
behandeln konnte. Der Forscher in ihm sagte, dass dieses Mädchen
ein Geheimnis barg, das zu lüften sich nicht nur in
wissenschaftlicher Hinsicht lohnen würde.
Es war unglaublich, was Lorelei alles geistig verarbeiten konnte.
Sie nahm es ohne besondere Überraschung auf, dass die HOLLIDAY
25 ein tausend Meter durchmessendes Raumschiff war und mehr als
zweitausend Passagiere in ihrem Kugelrumpf aufnehmen konnte. Es
beeindruckte sie zwar, dass es über hundert Geschäfte gab,
in denen man fast alle Gebrauchsgegenstände und Luxusartikel
kaufen konnte, dass man sich in zehn Lokalen vergnügen konnte,
dass manjede gewünschte Art von Abwechslung auf Sportplätzen,
in Schwimmbassins oder in der Zirkusmanege oder im Kasino fand —
es beeindruckte sie, mehr nicht. Sie zweifelte keinen Moment daran,
dass es all das auf dem Raumschiff gab. Als er ihr jedoch erklärte,
dass es sich bei der HOLLIDAY 25 um ein Transitionsschiffhandle, das
die Lichtjahre zwischen den Sonnensystemen durch Hyperraumsprünge
überbrücke, lachte sie ihn aus.
»Professor, Sie wollen mich verulken«, sagte sie. »Im
Jahre 2423 kennt man schon lange den Linearflug.«
Von diesem Augenblick an wusste Professor Farkas, dass Loreleis
Gedächtnisschwund mehr war als eine der herkömmlichen
Amnesien.
Er schlug vor, dass sie sich von den Strapazen der Exkursion in
einer der Imbissstuben ausruhen sollten. Er dachte dabei aber mehr an
sich selbst als an Lorelei.
Sie betraten ein Lokal, das hauptsächlich von der
dienstfreien Mannschaft aufgesucht wurde und in das sich kaum ein
Tourist verirrte. Professor Farkas hatte es ausgewählt, weil er
verhindern wollte, dass Lorelei in ihrem Zustand zu intensiven
Kontakt mit den Touristen hatte. Ihr Geist war ohnedies durch die
vielen neuen Eindrücke einer ständigen Belastung
ausgesetzt.
Als sie an einem der hintersten Tische in der halbleeren Bar Platz
nahmen, merkte Professor Farkas zu seiner Überraschung, dass
Lorelei zitterte. Ihre Augen wanderten unruhig zwischen den
Tischreihen hin und her, Angst sprach aus ihnen.
»Warum haben Sie mich hier hergeführt?« fragte
sie gepresst, während sie nervös mit den Druckknöpfen
der Speisenkarte spielte.
»Aus keinem besonderen Grund«, sagte er so ruhig wie
möglich und zeigte sein unschuldigstes Lächeln.
»Aber hier gibt es nur Ordnungshüter«, sagte sie.
»Wollen Sie mich unter ständiger
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