PR TB 109 Das Unsichtbare Netz
sie nun mehr Fleisch, als sie alle zusammen
hinunterschlingen könnten, und doch streiten sie sich um die
Beute!«
Obo Nakuru lächelte.
»Warum sollten sie sich besser benehmen als Menschen«,
sagte er leise.
Der Großadministrator seufzte.
»Wir müssen Geduld haben, Obo.«
Er runzelte die Stirn und meinte grübelnd:
»Unterscheiden sich die Bewohner Kasuirs etwa dadurch von
anderen Menschen, daß sie auf der Jagd nach Wohlstand nicht
gegeneinander kämpfen?«
Das Gesicht des Nexialisten drückte ebenfalls große
Nachdenklichkeit aus, als er zögernd erwiderte:
»Es ist Ihnen also auch aufgefallen, Sir. Ja, keine
Verführung zum maximalen Konsum, kein Protzen mit
Individualfahrzeugen, kein Streß, allgemein hoher
Bildungsstand, hoher Lerneifer, keine Konkurrenzwerbung -das scheint
darauf hinzuweisen, daß sich auf Kasuir die Menschen von ihrem
animalischen Fleisch getrennt haben.«
Perry nickte.
»Aber ich kann es nicht glauben. Was meinen Sie?«
»Ich glaube es nicht«, antwortete der Massai mit
unbewegtem Gesicht. »Innerhalb weniger Jahrhunderte können
sich Menschen nicht derart grundlegend ändern.«
»Es sei denn, sie werden mittels einer Ideologie verführt«,
erklärte Perry Rhodan. »Hier auf Kasuir scheint es die
Ideologie von der lückenlosen Anwendung wissenschaftlicher
Methoden zu sein.«
Er schüttelte den Kopf.
»Aber eine solche Ideologie kann man den Menschen nicht
einfach verschreiben; der größte Teil würde sich
dagegen sträuben.«
»Man kann sie einer isolierten Menschengruppe aufzwingen«,
sagte Obo Nakuru ernst, »indem man sie durch Terror weichmacht
und sie dann mit superfortschrittlichen Maßnahmen und
Versprechungen korrumpiert, so daß sie sich arrangieren.«
»Halten Sie es für möglich, daß es auf
Kasuir so gewesen ist?« erkundigte sich Rhodan.
»Nein«, antwortete der Nexialist. »Keine
Diktatur kann es sich leisten, die Zügel schleifen zu lassen.
Menschlicher Freiheitsdrang läßt sich unterdrücken,
aber nicht ausrotten. Sobald der Zwang nachläßt, lodert
die Flamme der Freiheit wieder auf - und wenn der Zwang völlig
verschwindet, wird die Flamme zu einem Orkan, der alles Aufgezwungene
verschlingt.«
»Und auf Kasuir konnten wir keine Anzeichen von Zwang
feststellen«, meinte Perry, »woraus man schließen
muß, daß diese Menschengruppe sich freiwillig gebessert
hat.«
Nakuru lachte leise:
»Das haben Sie gut gesagt, Sir: freiwillig gebessert.«
Er wurde wieder ernst. »Die Menschen früherer Zeitalter
gehorchten nicht einmal lückenlos einem Gott, an den sie fest
glaubten - warum sollten Menschen dann einem alles umfassenden
Prinzip gehorchen, das ihrer Natur widerspricht!«
Perry nickte und öffnete den Mund, um selbst etwas dazu zu
sagen. Aber Nakuru gebot ihm Schweigen, indem er ihm die Hand auf den
Unterarm legte.
Sekunden später erblickte der Großadministrator den
Robot-Jaguar, der gemächlich durch das Gras der Savanne trottete
und sich dem Aschenkegel näherte, in dessen Gipfelmulde das
Gleiskettenfahrzeug stand, in dem die beiden Terraner die Nacht
verbracht hatten.
»Im Dschungel südlich von uns habe ich die Spuren von
drei Tigern gefunden«, berichtete er über Helmtelekom.
»Die Spuren von Tigern?« fragte Rhodan ungläubig.
»Du meinst sicher: von tigerähnlichen Tieren.«
»Nein, Sir«, widersprach der Robot-Jaguar. »Es
handelt sich um die Nachkommen terranischer Bengaltiger, die von
einer Siedlergruppe mitgebracht und auf Anagaia ausgesetzt wurden.
Ich habe über Funk bei der Registratur in Scientific Era
nachgefragt.«
Rhodan und Nakuru sahen sich an und wurden sich in diesem
Augenblick klar darüber, daß sie keinen Tiger schießen
würden. Diese prächtigen Raubtiere waren einst auf Terra
völlig ausgerottet worden. Es widerstrebte den beiden Männern,
ihnen nun in ihrem Reservat nachzustellen.
Dennoch wußten sie natürlich, daß diese
Anschauung sich keinesfalls mit der Rolle eines passionierten
Großwildjägers vertrug.
»Wir brechen sofort auf«, erklärte Perry. »Du
wirst uns führen!«
Er zwinkerte dem Massai zu und stieg in die Schildkröte.
Diesmal fuhr er
selbst, während Obo Nakuru aufmerksam die Umgebung
beobachtete.
Der Robot-Jaguar führte die Terraner in weitem Bogen um die
schlingenden Leguanoiden herum, was der Großadministrator
flüchtig bedauerte. Vielleicht hätte sich eines der
Echsenwesen bei größerer Annäherung zum Angriff
verleiten lassen - und dabei wäre der Jaguar möglicherweise
zertrampelt
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