PR TB 110 Formel Des Todes
brauchen. Aber was sollen wir tun, wenn wir weder die
Hoorr töten sollen noch etwas gegen die welkenden Wälder
unternehmen können?“
Maras sagte etwas schärfer:
„Ihr stellt die falschen Fragen, und darauf gibt der Schrein
eine falsche Antwort. Was soll ich sagen, wenn ich trotz meines
Makels meinen Auftrag erledige... oder es wenigstens versuche.“
Der Schamane griff nach seinem Unterarm und zog ihn in den Bereich
des Lichtes. Lange starrte er die Haut an, kniff sie leicht,
untersuchte eine Schuppe, die sich fast gelöst hatte, und
schnallte dann das schwere Lederband auf und betastete die weiche
verschwitzte Haut darunter.
„Du weißt“, sagte er vorsichtig, „daß
jeder noch so winzige Bestandteil der Palmen zum Leben gebraucht
werden kann? Von der Blüte über die Blattspitzen bis hinter
zur feinsten Wurzel mit ihren Härchen?“
„Ich weiß es“, entgegnete Maras mißtrauisch,
„aber ich kenne nicht alles.“
Der Ausdruck „Schamane“ war in jedem Fall falsch. Aber
er hatte sich eingebürgert seit jenem fernen Jahr, als Terraner,
oder wer es auch sonst gewesen sein mochte, hier gelandet und mit
ihrem segensreichen und ausgesprochen selbstlosen Wirken begonnen
hatten. Die Tätigkeit der Bruderschaft ließ sich eher mit
der von Mönchen vergleichen, die mit stumpfer Axt heilige Eichen
gefällt und dann die Barbaren Lesen und
Schreiben, Viehzucht, Schädlingsbekämpfung und Ackerbau
gelehrt hatten. Ein Schamane, das war der Zauberpriester
prähistorischer Stämme, aber derjenige, der die
Bruderschaft des Sprechenden Schreins gegründet hatte, wollte
wohl, klug und unambitioniert, jede Ähnlichkeit mit der
Ausbreitung einer Religionsgemeinschaft vermeiden. Trotzdem hatte
sich im Laufe der Jahre und Jahrhunderte eine Menge mythologischer
Ballast um dieses Zeichen der Vollkommenheit angehäuft.
Jedenfalls trugen die Schamanen außer ihrem Zeichen keinerlei
Verkleidung oder rituelle Gewänder. Maras hatte inzwischen
erfahren, daß sie nur in ihrer Stadt, während der
jährlichen Fragestunde, lange, gelbe Gewänder trugen, und
das auch nur, weil ihre andere Kleidung ausgebessert und ersetzt
wurde. Es waren durchwegs anspruchslose Menschen, denen ein Bett, ein
Stuhl, ein Tisch, Essen und Trinken völlig genügten.
Der Schamane lächelte zögernd und sagte: „Wir
geben niemandem einen Rat, erfüllen keine Bitte, wenn man uns
nicht vorher darum ersucht.“
Langsam begann Maras den Sinn dieses Satzes zu studieren. Er
begriff. Er stand auf und fragte:
„Ich frage dich, Aparol, ob du mein Leiden heilen kannst?“
Aparol lachte erleichtert auf und lehnte sich zurück. Er hob den
Weinbecher und sagte:
„Ich kann es versuchen. Aber ich sage es dir schon jetzt:
Wenn es wirken sollte, dann wird die Wirkung furchtbar sein. Du wirst
zweimal zusammenbrechen und unsagbare Schmerzen leiden, einen halben
Tag lang, und dann bist du für immer geheilt. Willigst du ein?“
Er starrte Maras Lombardi an.
Das Licht der Öllampe strahlte das Gesicht aus einem spitzen
Winkel an und schuf unbarmherzige Schatten. Maras' Schädel
schien eine Maske zu sein, durchbrochen von den strahlenden
blauen Augen und gekrönt von dem wirren schwarzen
Haarbüschel.
„Was könnte schlimmer sein, Bruder, als eine solche
Haut zu haben und die Menschen anzustecken? Ich werde den Versuch
wagen.“
„Schlimmer ist, daß unsere Brüder hier zuerst
kränkeln und schwach werden. Die Frauen leiden unter den
Schwangerschaften und bringen missgestaltete Kinder zur Welt. Die
Kinder sterben oder verkümmern ... wie die Pflanzen und die
Palmen. Und wenn es so weitergeht, dann werden die Menschen kurz vor
ihrem Ende wahnsinnig und töten alles, was sich ihnen in den Weg
stellt.“
Der Schrecken durchzuckte Maras. Er sah die grauenhafte Vision
eines Planeten, auf dem jeder Sterbende begann, Amok zu laufen. Ein
Inferno würde sich ausbreiten, von dem ein Dante nicht einmal zu
träumen gewagt hatte. Er biß die Zähne aufeinander
und murmelte:
„Diese Neuigkeit wird mich nicht ruhen lassen. Ich muß
noch schneller und mit noch größerer Sicherheit zu deinem
Prior, Bruder.“
Der Schamane versprach nachdrücklich:
„Nachdem Khodaina dich gesehen hat, nachdem wir mit ihr
gesprochen haben, werde ich mich in den Hafenschenken umsehen. Ich
glaube, ein Küstensegler legt morgen ab. Er soll Papier zur
Stadt bringen.“
Die Männer schwiegen eine kleine Weile und sahen auf den Teil
der Stadt hinunter, den sie überblicken konnten. Es war
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