PR TB 111 Der Besessene Von Capucinu
die Balken
derVeranda.
"Ich halte nichts von deinem Aberglauben, Khorana!"
sagte er finster. Er trug keinen Helm mehr; das lange Haar fiel ihm
in die Stirn und verlieh ihm das Aussehen eines mißgelaunten
Bullen.
"Es ist kein Aberglaube, ich weiß nicht genau, was es
ist, aber wir treiben hier keinen Götzendienst!" entgegnete
Khorana scharf. "Weißt du es besser?"
"Ich weiß es besser!" sagte Lombardi.
Überrascht wandten sich ihm die Köpfe Khoranasund
Corsalis' zu. Die drei Männer saßen direkt unter einem
riesigen Ast, an dessen Zweige man ein dreieckiges Sonnensegel
geknotet hatte, das die Insekten fernhielt. Zwischen ihnen, aufder
Platte aus poliertem Basalt, standen Becher und Krüge mit Wein
und Wasser und Schalen mit gesalzenen Nüssen.
"Du, Wanderer?" fragte Corsalis.
"Ja. Aber bevor ich auch nur ein Wort sage, brauche ich dein
Versprechen, Prior. Ich muß wissen, daß du mir, was immer
ich sagen werde, nicht böse bist. Ich möchte deine
Freundschaft nicht so schnell verlieren."
Khorana lächelte zurückhaltend:
"Weißt du denn, ob du sie bereits besitzt?"
erkundigte er sich im leisen Spott. Maras ging nicht auf diesen
Einwurf ein, sondern antwortete:
"Es sollte überall eine verschwiegene Gemeinschaft derer
geben, die ein bißchen mehr kennen und wissen als die vielen
anderen. Das ist zugleich eine Auszeichnung und eine Belastung;
Verantwortung belastet allemal. Diese Antworten, die der Sprechende
Schrein gibt oder vielmehr nicht mehr gibt... sind sie nach deiner
Meinung ein Zeichen, das ein übernatürliches Wesen gibt?"
Khorana schwieg und überlegte. Endlich entgegnete er:
"Ich weiß es nicht. Aber bisher waren alle Antworten
gut und halfen dem Volk."
"Das ist richtig!" grollte Corsalis Daph.
Maras hob seinen Becher. Corsalis goß ihn zu zwei Dritteln
voll Wein und schüttete Wasser nach. Lombardi nahm einen tiefen
Schluck und sagte:
"Vor sehr vielen Jahren, Khorana, landete hier ein Mann. Er
kam mit einem Schiffvon den Sternen. Er lernte diesen Planeten kennen
und schätzen. Er zerstörte das Schiff und behielt nur ein
Ding daraus. Das war eine Art Bibliothek, die aus Tausenden von
Büchern bestand. Diese Bücher waren aber nicht auf
Schriftrollen geschrieben, sondern sind fast unsichtbar auf breiten
Bändern, die sich drehen, wenn man die Bibliothek fragt. Da
viele Bücher über viele Gebiete des Lebens in der
Bibliothek sind, konntet ihr viele Fragen stellen. Alle wurden
beantwortet, so gut es die Bibliothek vermochte. Aber auch Bücher
veralten.
Sie werden nutzlos, wenn das, was in ihnen geschrieben steht, von
neuem Wissen überholt ist. Deswegen wurden, je höher sich
die Kultur Capucinus entwickelte, die Antworten immer ungenauer. Und
da sie schließlich ganz unscharf wurden, mußte geschehen,
was ich als Gefahr erkannt habe." Khorana schüttelte
ungläubig den Kopf. Aber in ihm nagte bereits der Zweifel.
Maras sagte drängend:
"Du brauchst weitere Beweise?"
"Ja. Wenn du sie hast."
Es warjetzt kühl geworden, angenehm trockenkühl. Ein
leichter Dunst lag über dem Gras und machte den unteren Pol der
Kugel dort vor ihnen undeutlich.
"Wenn du ein Ormel ständig antreibst und niemals
fütterst- was geschieht, wenn das lange so geht?"
Corsalis lachte und schlug auf die Tischplatte.
"Das beste Mittel, ein gutes Tier umzubringen!" sagte
er.
"Dieser Sprechende Schrein!" meinte Lombardi. "Er
gibt Jahr um Jahr Antworten. Ist da jemand, der ihn füttert oder
ihm Energie zuführt, wie sie ein Windrad oderein Wasserrad
braucht?"
"Niemand!" sagte Khorana dumpf.
"Und", fuhr Lombardi fort, "ich bin ein Fremder
aufdieserWelt. Warum beherrsche ich eure Sprache, verstehe alle
Dialekte und spreche selbst in Dialektausdrücken?"
"Ich weiß es nicht..."
"Und warum erkenne ich eure Zahlen? Warum kann ich lesen, was
ihr schreibt, und warum könntet ihr lesen, was ich schreibe?
Warum gibt es für die Tiere auf ganz Capucinu nurjeweils einen
Namen? Warum gibt es überall dieselben Sagen und Märchen?"
"Weil unsere Schamanen alles sammeln, hierzusammentragen und
von hier aus wieder ausstreuen."
"Und weil derSchrein immerwieder dieselben Begriffe
gebraucht?"
"Das auch!" sagte der Prior.
Khorana war ein Mann von schätzungsweise sechzig Jahren. Sein
Gesicht strahlte eine ruhige, gewachsene Autorität aus, ohne im
geringsten asketisch zu wirken. Die dunklen Augen waren von einem
Strahlenkranz scharfer Falten umgeben. Sie wirkten nachdenklich, und
jetzt nistete ein grundsätzlicherZweifel in
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