PR TB 152 Der Stadtebauer
unkontrolliert durch den
Sturm. Kelermes und zwei weitere Männer, die derweißhaarige
Fremde mitgebracht hatte, klammerten sich, selbst festgeschnallt, an
das Steuer.
Shahi nahm die Vorgänge, die in ihrem Verstand, in ihrer
Seele abliefen, nur undeutlich wahr. Die Gedanken selbst waren klar,
und jeder von ihnen traf sie wie ein spitzer Dorn.
Ich habe siebenundzwanzig Sommer gelebt. Oder Jahre, wie
Atlantharro die Zeit nennt. Ich habe Macht über die Menschen der
Prächtigen Stadt Mo'ensho-tharro. Ich habe die Hälfte
allerArbeiten geleitet... aber ich habe nicht wirklich gelebt.
Ich habe alle Dinge nurdurch meine Augen gesehen. Dabei waren
meine Augen nicht imstande, den Vorhang zu durchdringen, den ich
selbst gewebt habe. Ein kaltes Leben führte ich, nur das
Nützliche sehend, den Erfolg, die Tugenden des Gehorsams und der
Arbeit. Mein Ziel , war die Kultur der Stadt. Ich habe dieses Ziel
erreicht., Aber niemand liebt mich deswegen.
Kein Mann hat mich geküßt, Ich habe immerdann - in den
einsamen heißen Nächten -, wenn mich die Leidenschaft
packte, alte Gedanken daran zurückgewiesen. Bin ich die Schwarze
Göttin?
NEIN!
Ich bin nichts anderes als ein von Todesangst geschütteltes
Mädchen, eine junge Frau, die nur ein wenig klüger und viel
weniger menschlich ist als all die anderen rund' um mich. Ich kenne
nur die Freuden der klaren, kühlen Gedanken, keine anderen
sonst. Die ASHIU machte, nachdem sie sich für
einige Augenblicke scheinbar beruhigt hatte, abermals eine rasende
Fahrt durch die Wellen. Jede einzelne Planke schien sich gegen die
andere zu reiben und gab furchtbare Geräusche von sich. Der
hämmernde Anprall der Wellen gegen den Rumpf, das Heck und die
Planken des Decks drosch in einem unbarmherzig schnellen Rhythmus auf
die ASHIU ein. Nur undeutlich drang das Stöhnen und Ächzen
der Mannschaft durch den Lärm. Shahihörte nicht einmal ihr
eigenes, angsterfülltes Wimmern.
Das Sterben, das Ertrinken in den weißen, schäumenden
Wassermassen kündigte sich- mit einer Geräuschorgie an.
Ich muß versuchen öfters zu lachen. Sonst ist es zu
spät.
Ich muß mein Wissen und meine Kenntnisse weitergeben. Ich
möchte ein Kind, am liebsten ein Mädchen - ich mochte
Mutter werden. Ich möchte alles das spüren und
kennenlernen, das die anderen um mich herum fühlen.
Wenn ich diese grausame Furcht abstreifen kann, wenn wir diese
Schiffsfahrt lebend überstehen, dann bin ich ein anderer Mensch.
Oder vielmehr: Ich bin ein Mensch geworden.
Plötzlich weiß ich, daß es eine andere Welt gibt.
Es ist, als würde ich aufZehenspitzen an einem unendlich
tiefen Abgrund balancieren. In diesem Augenblick war ich frei von
Zeit und Raum, und ich empfinde den Eindruck einer eigenartigen
Leichtigkeit, ich war abgetrennt von allem. Da gab es keinen
Schrecken mehr, kein Gefühl der letzten Niederlage oderdes
erlöschenden Lebens. Ich merke, wie sich etwas in mir ändert.
Ich bin nicht mehr dieselbe Shahi. Ich bin anders. Das kalte Feuer
derTodesfurcht hatdie "Göttin" in mirverbrannt. Ich
bin eine Frau geworden. Vielleicht erreicht die neue, durch den
Schrecken geläuterte und veränderte Shahi ein Ufer.
Irgendein Ufer. Festen Boden unter den Füßen ...
Als ob diese fremdartige, aber Wohltuend warme Gedankenflut eine
Beschwörungsformel gewesen ware, vollführte die ASHIU eine
völlig ungewohnte Bewegung. Es war, als ob sie den sanften
Abhang einer gewaltigen, himmelhohen Woge hinuntergleiten würde,
ohne Rütteln, ohne die nervenbetäubenden Geräusche,
ohne das Trommeln von windgepeitschten Wellen ... Dies mußte
der letzte Todessturz des geschundenen Schiffes sein!
Du merkst es! Richte dich danach! schrie der Extrasinn.
Das Zentrum des Sturmes schien über uns zu sein. Das nasse
Segel fiel augenblicklich in sich zusammen. Wir schienen auf der
Stelle stillzustehen. Erstickendes Dunkel legte sich über uns.
Eine tiefe Stille breitete sich aus schlagartig sprangen Rajgir und
mich die vielen Geräusche der Mannschaft und des gequälten
Schiffes an. Stöhnen, Knarren, Wimmern, das Plätschern des
sich wie automatisch leerenden Eimers, einige Flüche,
undeutliche Stimmen.
"Rajgir!" sagte ich scharf, aber aus meiner Kehle kam
nur ein Krächzen. Die aufgerissenen, blutenden Lippen',
schmerzten unerträglich. DerZellaktivator schien ein wärmendes
und rettendes Zentrum zu bilden.
"Rajgir! Was hat das zu bedeuten?"
Er drehte mir langsam sein verwüstetes Gesicht zu.
"Das letzte Atemholen, mein Freund!"
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