PR TB 156 Der Löwe Von Akkad
hatte mein Zeitmaß sehr
genau eingehalten.
Aber es hätte mich nicht gewundert, wenn plötzlich aus
dem hochgewirbelten Sand und den peitschenden Regengüssen der
narbige Mann Nomadon mit Sherengi, der Löwin, aufgetaucht wäre.
Encheduana sah Rhai-ghur schweigend ins Gesicht, dann irrte ihr
Blick ab und schweifte über die Stadt, die trotz des Regens
wuchs. Nur neuntausend Arbeiter aus allen Teilen des Reiches waren
jetzt hier, aber dafür hatte Tanura einen Teil des Südheers
geschickt und die überflüssigen Kräfte der Garnisonen.
„Auch diese Stadt wird keine Ewigkeit überdauern!"
sagte sie. „Regen und Überschwemmungen, Sonne und Stürme
werden alles vernichten." Rhai-ghur dachte daran, was er von
Attalan-shar wußte, und erwiderte darauf:
„Keine Stadt der Welt ist ewig. Auch Akkade nicht. Aber sie
wird die Spanne von Sharrukins Leben überdauern. Du wartest noch
immer auf meinen Freund?"
Sie waren tatsächlich ohne Nachricht. Zwar waren die Fristen
nicht überschritten, aber der Spion des Königs war entweder
im Bergland der Zedemwälder verschollen oder hatte die Soldaten
nicht getroffen. Oder ihn hatten die Bergstämme gefangen und
erschlagen - Rhai-ghur glaubte nicht daran.
„Ja. Ich warte. Und von Tag zu Tag werde ich ungeduldiger!
Wartest du nicht?"
„Auch ich warte. Aber ich bin keine Königstochter und
kann daher meine Ungeduld verbergen, wenn auch nicht zügeln."
„Ich habe verstanden!"
Die Stadt begann deutlich zu zeigen, welchen Machtanspruch
Sharrukin hatte. Die bisher fertiggestellten Teile waren ein Rausch
von Farben, Größe und edlen Metallen. Unzählige
breite Treppen, Baumreihen, Straßen, Plätze und Säulen.
Der Tempel war zu zwei Dritteln fertig. Attalan-shar, das wußte
der Freund, baute die Stadt im Hinblick auf ihre Vergänglichkeit
- er schien ein bestimmtes Verhältnis zu Dingen zu haben, von
denen er wußte, daß sie wie Wolken und Wetter dem Wandel
unterworfen waren.
Und eines Nachts, in strömendem Regen, klirrten die Ringe des
schweren Vorhangs im Eingang. Attalan stand da, triefend und
erschöpft.
„Rhai-ghur!" schrie er auf.
7.
IN DER MASKE DES HEERFÜHRERS: Wir feierten den überkommenen
Brauch, den die Akkader offensichtlich von den Sumerern übernommen
hatten. Das Fest des neuen Jahres und des Frühlings
versinnbildlichte den Sieg des Frühlingsgottes über die
Göttin des Chaos. Die Standesunterschiede waren aufgehoben. Drei
Tage lang herrschte in der Stadt, jener riesigen Baustelle, ein
fröhliches Treiben. Ein König aus dem Volk wurde gewählt;
Sharrukin hielt sich in Kish auf und stellte das Heer für den
Angriff auf Ebla zusammen. So konnte der Oberpriester von Kish sein
Amt wahmehmen und dem rechtmäßigen König eine
Maulschelle verabreichen.
Wir mischten uns in den Trubel und freuten uns über die
Ausgelassenheit der Menschen, die das ganze Jahr hart gearbeitet
hatten. Der regennasse Boden rund um die Stadt war mit den
Ochsenpflügen - ich hatte sie konstruieren lassen -
aufgebrochen; die neue Saat wurde ausgebracht.
„Du lachst, Attalan-shar?" fragte Rhai-ghur in mein
Ohr.
Ich lachte tatsächlich aus mehreren Gründen.
„Ja. Du hast mich würdig vertreten. Keiner hätte
es besser machen können. Wir bauen diese Stadt mit einem
gewissen Grinsen, weil wir wissen, daß sie untergehen muß.
Man sieht ihr jetzt und heute ihre Bestimmung nicht an!"
„Ich lache nicht, wenn ich an den Kriegszug denke!"
sagte er und klopfte mit den Knöcheln gegen meinen Helm aus
Bronze und Leder, verziert mit Elektrum.
Zwei unserer tragenden Stuten waren eingegangen.
„Ich auch nicht!" rief Encheduana, die den letzten Satz
verstanden hatte.
„Du bist einen Mond lang hier und mußt wieder fort!
Schon wieder!"
Ich nahm einen torkelnden Steinschneider den Weinbecher aus den
Fingern und gab ihn Encheduana. Sie trank und warf dem Mann den
leeren Becher zu.
„Es dauert nicht länger als einen Mond. Dein Vater
meint, er würde nur drei Tage zu kämpfen brauchen."
Auf dem Rückweg durch Regen und über aufgeweichten Boden
hatten sich die Truppenführer und ich bei Sharrukin getroffen.
Wir hatten mit meinen Zeichnungen als Karte den Einsatz besprochen.
Mir lag daran, daß der Kampf schnell war - das bedeutete
weniger Grausamkeiten und Opfer.
„Wann brecht ihr auf?"
„In einem halben Mond!" sagte Rhai-ghur. Ich hatte
darauf bestanden, daß er mitkam.
Ich brauchte ihn, und alle wichtigen Arbeiten waren bereits
gediehen.
Wir benutzten die verbleibende Zeit,
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