PR TB 162 Karawane Der Wunder
ohne Müdigkeit acht Stunden zu reiten, das Pferd zu
schonen, auf die Eigenarten des Tieres einzugehen. Fast jeder Ritt
gedieh zu einem Kampf spiel. Sie lernten ferner, mit Messer oder
Dolch und Löffel zu essen. Rantiss war ein Mann, der alles wußte
und alles konnte. Er übertraf sie mühelos alle. Und an
einem bestimmten Punkt vergaßen die Neuen, woher sie gekommen
waren. Sie gehörten jetzt zu der Kameraderie der Zweihundert.
Sie waren einzelne, geborgen in der Menge, eine Erfahrung, die
gleichermaßen neu und faszinierend für sie war.
Und jeden Tag ritten sie weiter nach Südosten.
Sie begriffen, warum man Pferde nicht schindete. Sie lernten, sich
nach dem Essen die Speisereste aus den Zähnen zu stochern. Sie
lernten, wie man Wild am Spieß briet, Fische fing, ausnahm und
würzte, daß Hirsebier ein gutes Getränk war, wenn man
nicht zuviel davon trank. Und daß es wichtig war, den Körper
und die Kleidung sauber zu halten. Sie aßen Beeren, lernten den
perfekten Gebrauch der verschiedenen Waffen und lernten, daß es
nur zwei Dinge gab, denen man zu gehorchen hatte: dem eigenen Können
und dem Anführer.
Hatte jemand Schwierigkeiten auf diesem langen Weg zur Einsicht,
dann half Rantiss nach. Er war der beste Kamerad, der klügste
Freund,
trinkfest wie keiner und von rücksichtsloser Härte, wenn
es nötig war. Es gab keinen einzelnen der zweihundert, der nicht
Rantiss' Freund war - und umgekehrt.
Einige Rucke am Zügel. Die zwei Reiter, die sich weit vom Zug
entfernt hatten, blieben vor einem breiten Hohlweg stehen, nachdem
die Pferde langsamer geworden waren.
»Merk dir eines, Skath«, sagte Rantiss deutlich, »wir
alle sind Freunde und Krieger. Jeder von uns weiß, wo das Ziel
ist, und wie weit der Weg ist. Wir versuchen, zu überleben und
alles, wovon wir träumen, Wirklichkeit werden zu lassen. Ich bin
nicht anders als ihr, Skath.«
»Wir wissen es«, knurrte der andere. »Und wir
wissen auch, daß du dein Wort halten wirst.«
Er meinte die Versprechungen, die Rantiss gemacht hatte. Sie waren
keineswegs irreal, aber ganz sicher lagen sie nicht offen vor den
Reitern im Gras. Rantiss ballte die Faust und versicherte grimmig:
»Ich schwöre es dir, schwöre es euch: jeder, der
den langen Ritt überlebt, wird ein kleiner Fürst werden.
Deswegen auch lehre ich euch soviel.«
Er senkte den Arm im wildledernen Hemd. Mit ausgestrecktem Arm
wies er die anderen Reiter an, geradeaus weiterzugaloppieren. Die
Spitze der kleinen Armee kam heran und donnerte vorbei. Erdbrocken
und Fetzen von Gras und breitblättrigen Pflanzen flogen von den
Hufen der Pferde nach hinten. Mit ausgestreckten Hälsen folgten
die Packpferde. In der Mitte des Zuges ritt Tantri auf dem Schimmel.
Vor sich im Sattel aus mehreren Fellschichten hielt er das Mädchen,
die mit beiden Händen ihrem erklärten Liebling zuwinkte.
Skath beobachtete Rantiss ganz genau; er wußte, daß er
auf diesem Ritt der zwei Jahre mehr erkennen und mehr lernen würde
als in einem Jahrzehnt seines Dorfes, wo dreimal jährlich eine
kleine, erbärmliche Karawane vorbeikam und die Brunnen
verschmutzte.
In dem Moment, da sich die Augen von Rantiss und Alaca trafen,
zerbrach das harte Gesicht des unbarmherzigen Anführers. Eben
noch eine Maske aus bronzener Haut und mit Staub gebrochenem Schweiß,
verwandelt es sich in das offene Gesicht eines Mannes von weniger als
dreißig Sommern. Rantiss hob grüßend die Hand und
bewegte die Finger. Er lachte Alaca an, so lange, bis dieser Teil des
Heeres vorbei war.
Ehe Rantiss seinen verblüfften Blick bemerken konnte, drehte
Skath den Kopf und sah zu, wie die Pferde des Trosses mit den Rehen
und Gazellen vorbeigaloppierten. Sie waren kurz nach der
Morgendämmerung von den Jägern erlegt worden.
»Es wird Zeit, daß wir wieder Brot bekommen«,
erklärte Skath laut, als die schwerer bewaffnete Schlußgruppe
vorbeidonnerte.
»Ich habe dort hinten Stroh gesehen und Häcksel an den
Büschen. Wir sind in der Nähe einer Siedlung«, gab
Rantiss zurück.
Von dieser Siedlung würden sie allerdings keine Männer
mehr anwerben. Zweihundert und ein Anführer waren genug! Aber
sie mußten Bernstein, Kupferbarren oder Waffen gegen Brot oder
Mehl eintauschen. Vielleicht bewirtete man sie auch gern, weil sie
Nachrichten aus fernen Gebieten brachten.
Schnell überlegte Rantiss, was der Gruppe fehlte. Es gab
Fleisch, Salz, Wasser und noch immer Wein in Schläuchen,
Schinken von Wildschweinen, einige kalte Bratenstücke,
Weitere Kostenlose Bücher