PR TB 180 Das Goldland
Plötzlichkeit
aufgehört. Aber eine seltsame Kraft überkam sie alle, als
sie den Berg im Licht der sinkenden Sonne sahen, die Wipfel großer
Bäume an seinem Hang und noch mehr kreischende Vogelschwärme.
Die Männer weckten sich gegenseitig und griffen zu den Riemen.
Mit wahrer Besessenheit ruderten sie die Küste entlang und immer
weiter. Zu diesem Zeitpunkt weckte mich Ne-Tefnacht.
„Atlan!" flüsterte sie, „es geschieht
etwas."
Schweißüberströmt taumelte ich hoch und kroch
hinaus. Im letzten Licht sahen wir die Küste. Hinter den weißen
Schaumkämmen der Brandung erstreckten sich schräg
ansteigende Sandstrände mit riesigen, walzenförmigen
Treibholzwällen vor den Schafen von kleinen Palmen und
unbekannten Büschen und Bäumen. Ich rief:
„Signalbläser!"
Ein durstiger, unrasierter Mann mit der inzwischen verbeulten
Fanfare taumelte aufs Achterdeck. Er blickte zwischen dem Strand und
mir hin und her.
„Blase das Signal für Wasser!" sagte ich. „In
einer Stunde kannst du trinken!"
Er holte keuchend Luft und setzte das Instrument an die Lippen.
Dann ertönte der gewohnte schauerliche Klang. Ich hielt Ausschau
nach einer Unterbrechung des Strandes, einem dreieckigen dunklen
Streifen, der uns sagte, daß hier Süßwasser ins Meer
floß. Inzwischen übertönten Tierschreie und
geheimnisvolle Rufe die Brandung.
„Und jetzt blase: Wir gehen an Land!" sagte ich. Eins,
Pause, Eins.
Nach einer Weile erscholl von den Schiffen die Antwort Verstanden.
Wir hörten Männer vor Begeisterung schreien. Aber noch sah
ich keinen Bach, keine Quelle.
„Ipuki! Näher heran, aber nicht entlang der Brandung!"
schrie ich.
„Verstanden!"
Verdammt! Es war sinnlos, hier an Land zu gehen, denn wir
brauchten Wasser! Alles andere erst in zweiter Linie.
Geduld! Es kann nicht mehr lange dauern! sagte der Logiksektor.
Vor achtzig Jahren mochte Henenu seine Leute geprügelt oder
gepeitscht haben. Ich hatte eine bessere Idee. Mit letzter Kraft
sprang ich hinunter auf die Ruderbänke und richtete eine
anfeuernde Rede an die dreißig ermatteten, ausgedörrten
Ruderer. Sie starrten mich blinzelnd aus ausdruckslosen Gesichtern
an.
„Männer! Freunde! Geliebte der Hathor", schrie ich
mit überkippender Stimme. „Bevor ihr Wasser im Überfluß
trinken könnt, noch eine einzige Anstrengung! Bevor ihr euch den
wollüstigen Umarmungen der prallen, dunkelhäutigen
Jungfrauen hingeben könnt, noch eine Stunde Anstrengung. Wir
sind ganz nahe am kalten, perlenden Wasser, aber wir suchen einen
kleinen Fluß, keinen stinkenden Tümpel! Rudert, Männer.
Wenn wir die Brandung durchstoßen, ist es zu Ende. Die Sonne
sinkt, und wir müssen noch ein paar Schritte weiter!
Ich fühle mit euch, denn mein Durst ist nicht kleiner. Dort,
meine schöne und kluge Freundin, auch sie dürstet wie wir
alle. Irgendwo dort am Strand werden wir gleich einen Bach sehen, der
uns schöner vorkommt als der Nil in seiner Pracht."
Ich holte Luft und fuhr fort:
„Kurzum: Nur noch eine letzte, harte Anstrengung, und die
Grenzen von Punt werden offen sein für uns alle."
Ich ergriff ein Tau, stemmte meine Zehen in die eingeflochtenen
Quertaue und kletterte hinauf in den schwankenden Mast. Das beste
Mittel, seekrank zu werden. Ich hielt mich fest und starrte schräg
nach vorn. Der Strand schien in die Unendlichkeit zu führen. Und
dann, als ich immer lauteres Keuchen hörte, das Zischen der
Salzwassergüsse, glaubte ich am äußersten Rand meines
Blickfelds ein dunkles Dreieck zu erkennen, das die helle
Eintönigkeit des Sandes unterbrach.
Oder war es nur eine Täuschung?
Etwa eine Felsenformation? Oder Treibholz, das angeschwemmt worden
war? Dann unterschied ich einzelne Büsche und Binsengewächse,
die völlig starr dastanden. Also doch ein Bach oder ein
Flüßchen?
Warte! lärmte der Extrasinn. Enttäusche nicht die Männer
und dich selbst!
Die dreißig langen Blätter wurden aus dem Wasser
gezogen, Tropfen beschrieben einen Halbkreis, die Fäuste der
Männer zogen eine langgestreckte Ellipse vor der Brust, dann
setzten die Riemen wieder ein, die Oberkörper von dreißig
Männern bewegten sich nach hinten. Die Bewegung wiederholte sich
immer wieder. Dann sah ich es deutlich. Die Mondsichel spiegelte sich
ein paar tausendmal auf einem breiten Wasserstreifen, der aus dem
Wald kam und ins Meer mündete.
Ipuki war überrascht, als ich neben ihm auftauchte und sagte:
„Hinaus aufs Meer, dann ein enger Kreis, und mit der Welle
dorthin, wo du die
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