PR TB 190 Die Kinder Von Saint Pidgin
Platz und erreichten ohne
Zwischenfälle den Abgang in die subplanetaren Bunkeranlagen. Auf
einer Rolltreppe fuhren sie in die Tiefe.
Die Musik wechselte ständig, ebenso die Lautgebung der
Stimme, so daß man sich nie daran gewöhnen konnte. Es fiel
schwer, sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Und das war auch der
Sinn und Zweck. Auf diese Weise war es der fremden Macht nur schwer
möglich, Zugang in die Gedankenwelt zu finden. Euride spürte
die fremden Impulse immer wieder durch, aber die Konzentration auf
die Musik und die Stimme ermöglichte es ihr, alle anderen
Einflüsse zu ignorieren.
Sie erreichte mit ihren Begleitern das Bunkersystem. Nachdem sie
durch eine Reihe von Gängen gekommen waren, immer wieder Schotte
passieren mußten, erreichten sie ein großes Gewölbe,
in dem sich Hunderte von Menschen drängten. Kinder aller
Altersstufen waren hier vertreten und nur ganz wenige Erwachsene. Sie
trugen alle die seltsamen Kopfbedeckungen. Sie nahmen voneinander
kaum Notiz, wirkten konzentriert, blickten mit versteinerten
Gesichtern ins Leere.
Obwohl sich alle der drohenden Gefahr bewußt sein mußten,
in der sie schwebten, geriet niemand in Panik. Selbst die Jüngeren
behielten die Beherrschung. Euride hätte so etwas nicht für
möglich gehalten. Sie fragte sich, ob es wirklich nur daran lag,
daß diese Kinder frei und auf sich selbst gestellt aufgewachsen
waren, wenn sie sich bei einer solchen Bewährungsprobe so tapfer
zeigten. Oder waren die Kinder von Saint Pidgin einfach unfähig,
wirkliche Gefühle zu empfinden?
Sie schüttelte den Kopf. Nein, das waren ganz normale Kinder,
nur eben reifer und ausgeglichener als andere ihres Alters, die nicht
wußten, was Eigenverantwortung war.
Euride bahnte sich einen Weg durch das Gewölbe und lehnte
sich in eine Nische. Die Musik nahm sie gefangen, die ausdrucksstarke
Stimme übertönte das ferne Flüstern, das sich in ihren
Geist einschmeicheln wollte. Sie fragte sich, was „oben"
gerade passierte, wie es Niki erging.
Jemand zupfte sie am Arm. Sie blickte zur Seite, aber da war
niemand. Links von ihr, keine zwei Meter entfernt, verschwand gerade
eine schlanke Mädchengestalt in einem Seitengang. Euride hätte
dem keine besondere Bedeutung beigemessen, wäre ihr an dem
Mädchen nicht etwas ungewöhnlich erschienen. Sie wußte
nicht sofort, was es war, deshalb folgte sie.
Als Euride in den Seitengang kam und das Mädchen vor sich
sah, wie es sich lächelnd und erwartungsvollen Blicks nach ihr
umdrehte, da bemerkte sie, daß das Mädchen keine Tarnkappe
trug.
Das Mädchen bewegte die Lippen, öffnete ein Schott und
schlüpfte durch. Da Euride nicht sofort folgte, tauchte das
Mädchen wieder kurz im Schott auf und winkte. Was hatte das zu
bedeuten? Und warum trug das Mädchen keine Schutzhaube? War es
eine Immune?
Eurides Neugierde war geweckt, und sie folgte dem Mädchen
arglos durch das Schott. Sie kam in einen verlassenen Gang. Das
Mädchen stand aufmunternd lächelnd da und bedeutete ihr
durch Gesten, die Schutzhaube abzunehmen. Euride
zögerte. Aber das Mädchen kam zu ihr und befreite sie
von den Kopfhörern mit dem Netz.
„Das ist nicht mehr nötig", sagte das Mädchen.
„Wer bist du?" wollte Euride wissen. Sie dachte in
diesem Moment nicht an die möglichen Gefahren, die es mit sich
bringen konnte, wenn sie barhäuptig war.
„Ich bin Nelly", sagte das Mädchen. „Ich
weiß, wer du bist, und du müßtest mich eigentlich
auch kennen. Hat dir Niki nichts über mich erzählt?"
„Ich wüßte nicht..."
„Macht auch nichts. Komm."
Nelly ergriff ihre Hand, aber Euride widerstand ihrem Zug.
„Wohin? Und was hat das alles zu bedeuten?"
„Es ist vorbei", sagte Nelly. „Wir haben
gewonnen. Du brauchst deine Haube nicht mehr. Komm."
Euride setzte sich zögernd in Bewegung.
„Wenn das wahr ist, was du sagst", begann sie, „dann
sollten wir auch die anderen verständigen."
„Sie werden es bald genug erfahren. Komm."
Euride gab nach und ließ sich von Nelly führen. Nellys
Schritt war leichtfüßig, sie wirkte unbekümmert und
fröhlich. Euride war verwirrt. Irgendwie paßte ihr
Verhalten nicht zu dieser Situation. Selbst wenn die Gefahr gebannt
war, wirkte Nellys Ausgelassenheit irgendwie widersprüchlich.
Sie erreichten einen Antigravlift und fuhren zur Oberfläche
hinauf. Als Euride zusammen mit Nelly ins Freie trat, sah sie sich
von einer Gruppe von Kampfrobotern umzingelt. Sie wollte zurück
in den Liftschacht springen, aber einer der
Weitere Kostenlose Bücher