PR TB 206 Die Energiefalle
ihre Neuerwebung an, einen schwarzgelockten
schlanken Jüngling, der auf den Namen Rafe hörte.
Ganclar hatte sich vorsorglich mit Bier eingedeckt, als er sich zu
Buanorotti setzte. Der Künstler grinste ihn an.
„Hast du jetzt Mut?“ fragte er spöttisch.
„Glaubst du, ich könnte im Dunkeln nicht zeichnen?“
„Im Gegenteil, Meister des schwarzen Stiftes“, gab
Ganclar zurück. „Ich hoffe sogar, daß du zu ganz
großer Form aufläufst. Nur eine Frage vornweg - hast du
deine besondere Begabung auch, wenn du den Menschen, den du zeichnen
willst, nicht vor dir sitzen hast?“
Buanorotti kniff die Augen zusammen.
„Hast du das gehört, Süße?“ fragte er
das Mädchen. „Er zweifelt an mir.“
„Wenn du so gut bist - zeichne diesen Mann hier!“ bat
Ganclar. „Ich werde dich bezahlen, Ehrenwort, später.“
Buanorotti sah gar nicht erst auf das Bild. Er musterte Ganclars
Gesicht. „Einverstanden“, sagte er dann. „Ich habe
das noch nie gemacht, nach einem Foto zu zeichnen, und ich weiß
nicht, ob es mir gelingt. Aber wenn es einen Tag gibt, an dem es
gelingen könnte, dann ist es diese Nacht. Sieh in den Himmel,
Spießer, und
erkenne die Weite des Alls. Ist es nicht aberwitzig, daß es
möglich ist, diese Weite in etwas so Kleines hineinzubringen wie
in das Hirn eines Menschen? Ist es nicht vermessen, wenn einer sagt,
er verstehe das alles?“
„Nimm deinen Stift, Buanorotti, und zeichne. Es ist wichtig.
Es geht um Giorgios Kopf.“
Buanorotti war betrunken, sein Kopf pendelte ein wenig.
„Giorgios Kopf“, sagte er leise. „Nun, wenn es
so etwas Kostbares ist.“
Er kicherte, griff nach seinem Material und machte sich an die
Arbeit. Der Mond und die Straßenbeleuchtung schienen herab auf
Ganclars großformatiges Foto. Buanorotti schwankte leicht,
wurde aber von Minute zu Minute ruhiger, ja, er steigerte sich
langsam in einen Zustand hinein, den Ganclar bisher noch nicht an ihm
erlebt hatte. Buanorottis Gesicht wurde zu einer versteinert
wirkenden Maske, seine Hand bewegte sich mit unglaublicher
Geschwindigkeit.
Die Zeichnung nahm rasch Formen an.
Die Konturen des Gesichtes wurden deutlich, wurden scharf
herausgearbeitet. Dann zeichnete Buanorotti weiter, in der für
ihn typischen Art.
Ganclar sah, daß sich das tief braune Gesicht des Malers
verfärbte. Er wurde immer blasser. Auf seiner Stirn tauchten
feine Schweißperlen auf. Der Zustand hypnotischer Konzentration
wurde immer stärker, er schien in eine immer tiefer werdende
Trance zu verfallen.
Buanorotti zeichnete wie besessen. Er entblößte die
Zähne in einer Grimasse des Ekels.
Ganclar versuchte einen Blick auf die Zeichnung zu werfen. Er
erschrak.
Immer mehr wurde das Porträt von den seltsamen Strukturen
überdeckt, die für Buanorottis Zeichenstil typisch waren.
Das Gesicht des Akonen verschwand hinter der abstrakten Darstellung
eines Gefühls - des Grauens.
Ganclar sah, wie das Mädchen neben Buanorotti auf die
Zeichnung starrte und selbst erbleichte, sich schließlich
abwandte. Einige von der Treppe, die Buanorotti kannten, sahen den
Vorgang. Sie kamen langsam näher, scharten sich hinter
Buanorotti, sahen ihm schweigend bei seiner Arbeit zu.
Dann war Buanorotti fertig. Er riß das Blatt vom Block.
Jetzt begann seine Hand zu zittern, er konnte das Blatt kaum halten,
als er es Ganclar gab.
„Hier“, sagte er fast unhörbar. „Besser
kann ich es nicht.“
Er verdrehte die Augen und fiel in sich zusammen.
Ganclar starrte auf die fertige Zeichnung, auf der vom
eigentlichen Gesicht des Akonen fast nichts mehr zu erkennen war. Nur
das andere war zu sehen, die Angst, die Verzweiflung, das abgrundtief
Böse, das von diesen Strukturen dargestellt wurde. Ganclar
begriff, daß Buanorotti sich selbst übertroffen hatte, daß
die unheimliche Parabegabung des Zeichners den Akonen besser und
präziser erfaßt hatte, als es ein erfahrener Psychologe
hätte tun können, vielleicht besser als es dem Akonen
selbst möglich war, sich zu sehen.
Aber Ganclar verstand die Sprache nicht, in der sich Buanorotti
ausgedrückt hatte. Er hörte gleichsam die Worte,
interpretierte den Tonfall, aber er konnte den Wortlaut nicht
erfassen - und in Ganclar stieg die fürchterliche Erkenntnis
auf, daß es vielleicht besser für ihn und die Gesundheit
seines Geistes war, wenn er diese Sprache gar nicht erst zu verstehen
suchte.
„Danke“, sagte Ganclar, stand auf und stieg die Treppe
hinab, hinunter zum Brunnen. Er ging an dem Wasser vorbei,
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