PR TB 227 Wolken Des Todes
sehen. Unter der Wolke herrscht kühlere Luft.
Sie sinkt ab und kriecht dicht über dem Boden nach allen Seiten
auseinander. Warme Luft aus der Umgebung wird ständig
nachgesaugt. Unzählige Wirbel entstehen, und aus ihnen werden
Windhosen, Wasserhosen, Orkane und Stürme. Großräumig
gesehen, dreht sich unter der Wolke ein riesiger Wirbel. Das Wetter
gerät völlig aus dem gewohnten Rhythmus. Die Pflanzen, auf
das Sonnenlicht angewiesen, verdorren. Tiere werden verrückt und
sterben daran. Andere entwickeln ungekannte Aggressionen. Weiden
verdorren, Schnee schmilzt nicht mehr - ich denke, der Nil wird
dieses Jahr nicht über die Ufer treten und die Felder mit seinem
fruchtbaren Schlamm tränken.
Was für die Tiere gilt, gilt auch für die Menschen.
Angst und Hunger werden sie heimsuchen. Auch die Flucht in die Wüste
bedeutet den sicheren Tod. Wenn wir die Wolke nicht zerstreuen,
stirbt die mächtige Kultur des Nillands, die zweieinhalb tausend
Jahre alt ist.
Wir befinden uns noch in einer sicheren Zone. Aber nach meinen
Berechnungen wird die Wolke in rund dreißig Tagen Tanis
erreichen, wenn nichts geschieht. Sie wächst natürlich
gleichmäßig, weil sie ein fast vollkommener Kreis ist, und
je größer ihr Durchmesser wird, desto langsamer wird das
Wachstum."
„Dies ist für niemanden ein rechter Trost",
bemerkte Ptah und schenkte aus einem Krug, der von kühlen
Wasserperlen beschlagen war, schäumendes Bier in Tonbecher.
„Trink, Mondrobot."
Ocir hob den Becher, roch mehrmals daran und meinte schließlich
zögernd:
„Ein bestimmter Geruch ist deutlich feststellbar. Es ist ein
guter Geruch. Er prickelt in meinen Sensoren. Vielleicht beeinflußt
er bestimmte Sektionen meiner Sinne. Es kann durchaus sein, daß
ich vom Geruch dieses schwarzen Getränks unkontrollierbare
Aktionen ausführe."
„Zu allem Glück fehlt uns noch ein beschwipster Robot",
meinte ich ironisch. Aber dann sagte ich mir, daß theoretisch
selbst der salzige Geruch eines Hafens Ri-cos Sensoren beeinflussen
konnte. Ich nahm ihm den Becher weg, trank ihn leer und lehnte mich
zurück.
„Morgen werden wir jedes Stück unserer Ausrüstung
genau untersuchen. Ich bin sicher, daß wir viele interessante
Dinge finden werden."
Wir waren voller Überlegungen; unsere Gedanken schwirrten
umher wie rasende Nillibellen. Längst besaßen wir nicht
alle Informationen, und beim Gedanken, daß ES für uns
ausgerechnet Raketen, also Projektile mit einem Rückstoßantrieb,
bereithielt, geriet ich völlig ins Träumen. Und wenn es
zutraf, daß auch andere Weltgegenden von farbigen Wolken
bedeckt waren - wie legten wir die weiten Wege dorthin zurück?
Fragen über Fragen, und Amun mochte wissen, wie die Antworten
ausfielen. Eines war sicher: ES beschützte und behütete
diesen Barbarenplaneten wie seinen Augapfel. Falls ES, sagte ich
bitter, überhaupt Augen hatte.
Wir waren zu müde, um uns noch lange zu unterhalten. Ocir
hatte sich bereits um die Ausrüstung gekümmert, so daß
jeder von uns seine Taschen und Packen in seinem Schlafraum fand. Ich
nahm einen vollen Becher Wein mit mir und stieg hinauf auf das flache
Dach, auf dessen durchhängendes Sonnensegel sich Tautropfen
absetzen. Ich ließ mich in einen knarrenden Sessel aus
Binsengeflecht fallen und
starrte hinaus in die Richtung der riesigen Halblagune nördlich
von Tanis. Auf den fernen Wellen spielte fütternd das Mondlicht.
Nur noch wenige Lampen brannten in der Stadt. Rundherum herrschte
eindringliches Schweigen. Ich vermied es, nach Süden, in die
Richtung der Wolke, zu blicken.
Leichte Schritte näherten sich. Ich brauchte nicht den Kopf
zu heben, ich wußte, daß es Charis war. Sie setzte sich
vor mir auf die Kante des gemauerten Daches und hob ihren Becher. Wir
beide waren nur undeutliche Schatten vor dunklem Hintergrund. Am
Nilufer schrien die Frösche, und einige Grillen zirpten und
machten die Stille noch dichter.
„Weichen wir einander aus? Sind wir zu scheu? Oder täusche
ich mich?" fragte Charis mit beherrschter, dunkler Stimme. Ich
wühlte in meinen Erinnerungen -sinnlos! Vergeblich!
„Worin täuschst du dich?" fragte ich zurück.
„Ich kann nur mein Gefühl schildern. Es ist kein Wissen,
es sind keine Erinnerungen."
„Sprich! Du fühlst also auch, daß wir uns vor
langer, langer Zeit sehr gut... gekannt haben?"
„Vielleicht wirst du eines Tages begreifen, was uns ES mit
dem Diebstahl unserer Erinnerungen angetan hat", sagte ich voll
Bitterkeit. „Du weißt selbst, daß
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