PR TB 236 Die Stadt Der Zukunft
ausplündert.
Diese Hände! Schau dir die Hände an! Das kann kein Zufall
sein.«
»Aber Mashmir«, wies ihn Ulga sanft zurecht, »er
war doch ein Gast von Ilonore. Glaubst du, daß Ilonore Gärtner
zu ihren Cocktailpartys einlädt? Traust du ihr das zu?«
»Ich traut ihr jede Schandtat zu«, knurrte Gulf.
»Und er war ein Prinz«, fügte die Frau hinzu.
»Ein Kristallprinz. Stell dir vor, ein Nachfahre Atlans. Ist
das nicht entzückend?«
Gulf schnaubte. »Alle Arkoniden sind Nachfahren Atlans.
Schließlich hat der Bursche zehntausend Jahre Zeit gehabt, um
sich fortzupflanzen.«
Ulga schaltete die Frisierhaube aus. Ihr Haar fiel in perfekten
Dauerwellen bis knapp auf die Schultern. »Aber Mashmir«,
sagte sie, »Atlan hat doch den Großteil dieser
zehntausend Jahre in seiner Tiefseekuppel hier auf der Erde
geschlafen.«
»Geschlafen?« echote Gulf. »Zehntausend Jahre
lang? Das übertrifft ja meine schlimmsten Vermutungen. Diese
Arkoniden sind eine verdammte Bande dekadenter Faulenzer.«
Er hob die Telefax-Zeitung vor das Gesicht und zeigte ihr so, daß
er im Moment nicht beabsichtigte, das Gespräch fortzusetzen.
Ulga O'Hail seufzte wieder, aber das nachsichtige Lächeln auf
ihrem Gesicht blieb. Sie berührte mit der Fingerspitze eine
Sensortaste des Apartmentterminals, und die Frisierhaube verschwand
wieder in der Wand.
Der weiche Bodenbelag dämpfte ihre Schritte, als sie zur
breiten Fensterfront des Wohnzimmers ging. Der mannshohe mutierte
Gummibaum neigte sich ihr zärtlich zu. Sie blieb neben ihm
stehen und sah schweigend nach draußen, während sie die
goldenen Blätter des Gummibaums streichelte.
Unter ihr lag das Blau des Atlantischen Ozeans. Der Himmel war
wolkenlos und so azurn wie das Meer, und kein Vibrieren, kein
Schwanken oder Motorengedröhn deutete darauf hin, daß das
Antigrav-Apartment zusammen mit zwei Dutzend weiteren Wohnzellen
tausend Meter über der Meeresoberfläche schwebte. In der
Ferne, dicht über dem Horizont, driftete ein weiteres
scheibenförmiges Gebäude auf seinem Antischwerkraftfeld dem
euroasiatischen Kontinent entgegen.
Die Klimaanlage umfächerte ihr Gesicht mit der salzigen,
kühlen Meeresluft.
»Ein herrlicher Tag«, murmelte Ulga.
»Pft«, machte Mashmir Gulf. »Ich wette, daß
es regnen wird. Spätestens in einer Stunde.«
»Und diese Luft.«, fuhr die Frau versonnen fort.
»Es stinkt.« Gulf senkte die Zeitung wieder. »Nach
totem Fisch und Salz. Aber du wolltest ja unbedingt dieses Jahr in
der Luft wohnen. Gott, ich habe ständig das Gefühl, daß
wir in der nächsten Sekunde abstürzen.«
Ulga ignorierte ihn. Sie betrachtete den Topsidischen Efeu, der in
silberner
und violetter Pracht das große Fenster umrankte. Wenn man
die Blätter berührte, spürte man ein Pochen, und
gelegentlich hörte man Geraune und Gekichere, dem Lärm
einer Party ähnlich, den man durch eine dicke Wand gedämpft
vernahm. Der Topsidefeu gehörte zu Ulgas Lieblingen unter den
knapp achtzig verschiedenen Pflanzen, die das Wohnzimmer, den
Korridor, die beiden Mehrzweckräume und selbst die Naßzelle
des Antigrav-Apartments in einen exotischen Dschungel verwandelt
hatten.
Ulgas Blick glitt weiter, zu dem ertrusischen Schlinggras, das in
einer Ecke wie ein purpurroter, verfilzter Haarschopf von der
Zimmerdecke hing. Bleistiftdicke Wurzelstränge führten vom
knolligen Herz des Schlinggrases zu dem Wasserschälchen, das auf
dem Boden stand. Das Habmichlieb, ein Mimikry-Gewächs von der
galaktischen Eastside, das auf einem Holzhocker neben dem Terminal
stand, war zur Zeit mit einer Nachbildung von Mashmirs Kopf
beschäftigt.
Andächtig verfolgte Ulga, wie sich die Gesichtszüge
ihres Befristeten Ehemannes immer mehr herausformten; die fliehende
Stirn, die buschigen Brauen über den tief in den Höhlen
liegenden Augen, die platte Nase, der wulstige Mund.
Ulga dachte melancholisch an die glückliche Zeit zu Beginn
ihrer Beziehung zurück, in der sie ihn liebkosend »Mein
Neandertaler« und Mashmir sie »Mein Sumpfdotterblümchen«
genannt hatte. Doch dies war schon Jahre her, und Ulga hatte sich
bereits entschlossen, ihren Ehekontrakt nicht weiter zu verlängern.
Wie häßlich und grob war Mashmir doch im Vergleich zu
der Schönheit und Zartheit ihrer Pflanzen. Liebe zu ihren
pflanzlichen Freunden erfüllte sie, und wie immer, wenn es die
Liebe eines Menschen spürte, beendete das Habmichlieb seine
Mimikry und begann in allen Farben zu schillern.
Doch Ulgas Liebe galt all ihren
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