PR TB 238 Kampf Der Tausend Schiffe
fünfunddreißig Jahre zählt sein
Leben, Arzt. Stirbt er, oder verwirrt sich vor Schmerz sein Geist,
brechen Sprünge und Risse auf im riesigen Reich. Wie du weißt,
sammeln wir Soldaten und wollen die Niederlage bei Marathon rächen,
indem wir den Rest der Griechen zu unseren Satrapien eingliedern
werden. Und deswegen darf es keinen Königswechsel geben. Du
wirst Xerxes heilen? Man erzählt Wunderdinge von deinen
Medizinen.«
»Und niemand darf erfahren, daß ein Sterblicher Hand
an Xerxes gelegt hat.«
»So halten wir es.«
Hätte ich vorgehabt, zu fliehen, würden sie mich getötet
haben. Ich hatte kaum eine Chance. Natürlich wollte ich alles
andere! Wenn nur die engen Würdenträger und die Räte
ihren Herrscher, meist von fern und in Prunkgewändern, sehen
durften, dann zählte ich zu den wenigen Auserwählten, die
noch näher an ihn herankamen. Ich nahm einen Schluck und fragte:
»An welcher Krankheit leidet Xerxes?«
»Sein Bein ist voller Geschwüre, und es geht ein
fauliger Geruch davon aus. Alle Mittel der Hofärzte können
nur die Schmerzen lindern, aber nicht die Beulen. was weiß
ich.«
»Seit wann peinigt ihn die Krankheit?«
»Seit weniger als einem Mond.«
»Bringe mich zu ihm«, sagte ich. »Aber ich
brauche weder Zuschauer noch Soldaten, die mich bedrohen. Meine
Aufgabe ist es, zu heilen. Und vielleicht brauche ich noch Salben aus
meinem Haus.«
»Man wird nach deiner Sklavin schicken. Sei unbesorgt. Alle
Macht des Reiches steht hinter dem Befehl des Xerxes.«
»Und hinter seinem obersten Feldherrn. Wir sind im Palast?«
»Nein. Ich bringe dich zu Ksayarsha.«
In diesen wenigen Augenblicken entstand eine merkwürdige
Freundschaft zwischen uns. Ich konnte sie nicht genau bestimmen. Es
war wohl das blitzartige Erkennen, daß wir beide mehr Aufgaben
übernommen hatten, als wir bewältigen konnten. Und der etwa
vierzigjährige Feldherr wirkte, als sei er mit seiner eigenen
Arbeit unzufrieden oder betrachtete sie zumindest mit Skepsis.
Andererseits ging von ihm eine Aura absoluter Zuverlässigkeit
aus, allein diese Unterhaltung weit nach Mitternacht bewies es. Ich
erkundigte mich halblaut, indem ich meine Taschen über die
Schulter warf:
»Du bist einer der wenigen, die ungehindert Zutritt zum
Herrscher haben -wie jene Gruppe damals um Darius?«
»So ist es. Er braucht mich. Trotz seiner goldenen Umgebung
ist er auch nur ein Mann wie du und ich.«
»Das sagst du einem Arzt?« murmelte ich sarkastisch.
Er zündete eine kurze Fackel an, winkte mir und schlug einen
Vorhang zur Seite. Wir gingen Stufen abwärts, eine steinerne
Platte verschob sich, und ein langer Gang nahm uns in Empfang, der
sein Licht aus winzigen Nischen erhielt, in denen vor polierten
Metallplatten Öllampen standen. Wir gingen schnell nebeneinander
auf das jenseitige Ende zu, das sich in weiter Ferne befand. Seine
Stimme war heiser, als Mordonios meinte:
»Heilst du Xerxes, wird er dich mit seiner Gunst beehren.«
»Die Gunst eines Großkönigs ist gefährlich.
Er erwartet täglich Wunder, und die Höflinge hassen mich.«
»Und das sagst du. seinem Feldherrn?« knurrte er und
nahm die Aussage meiner Antwort auf. Wir schienen uns zwischen einem
Seitenflügel des Palasts bis auf dessen Zentrum hin zu bewegen.
Niemand hielt uns auf. Aber als wir wieder, nachdem wir mehrere
Gewölbe passiert hatten, die Stufen nach oben nahmen, sahen wir
die Posten. Die Lanzenträger der Unsterblichen standen vor
Türen, unter Durchgängen, neben prächtigen Skulpturen,
vor Fenstern und alle zwanzig Schritt in jedem Korridor und an jeder
Wand eines jeden Saales. Mordonios fand den Weg mit
schlafwandlerischer Sicherheit, und schließlich kreuzten vor
uns vier Speerträger mit ausdruckslosen Gesichtern die Waffen.
»Ich bürge für ihn«, sagte der Feldherr.
»Laßt keine Priester hinein, keine Weiber - er braucht
Ruhe. Und: schweigt. Sonst.«
Die Portale öffneten sich. Wir traten in einen gänzlich
anderen Palastbereich. Über uns öffnete sich die Decke und
ließ die Sterne erkennen. Um einen viereckigen Hof voller
Pflanzen, rinnenden Wassers, kleiner Teiche und halbverborgener
Statuen lief ein geräumiger Bogengang. Schließlich
erreichten wir jenen Raum, aus dem Flüche und das Klirren von
Metall ertönten. Der Saal war hell erleuchtet, in seiner Mitte
befand sich Xerxes.
Äußerster Prunk und eine Anhäufung von allen
erdenklichen Möbelstücken, ein jedes eine Kostbarkeit,
kennzeichnete den persönlichen Wohnbereich des
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