PR TB 238 Kampf Der Tausend Schiffe
den Felsen die riesige Gestalt eines
Wesens, das in eine Rüstung von zweifacher Bedeutung gekleidet
war: einerseits sah sie aus wie jene, in denen die alten Götter
dargestellt wurden, zum zweiten war jedes Stück unvorstellbar
prächtig, wertvoll und unirdisch anzusehen. Der Mann auf dem
Lager begann sich zu rühren und stöhnte. Als er die Augen
öffnete, sah er vor sich den Rauch, der weiß, rot und gelb
aus Felsritzen quoll, sich entfaltete und zu Boden sank. Als der
Liegende auffuhr, sah er noch, daß im Sand keine Spuren von
seinem Bett oder zu dem Lager führten.
»Wo bin ich?« stöhnte er auf. Seine Glieder waren
schwer; er vermochte sich nur unter großen Anstrengungen zu
bewegen.
»In der Grotte des Gottes, der dich begleitet und dir die
Gedanken führt«, ertönte eine Stimme, die nicht von
dieser Welt war. »Hast du nicht Hipparchos, Charmos' Sohn, in
die Verbannung getrieben? Hat nicht der Ostrakismos, das
Scherbengericht, den Megakles abgesetzt? Auch Aristeides stand dir im
Weg. Ich helfe dir, weil ich den Griechen helfe, und weil du es
schaffen kannst, sie gegen die Meder zu führen.«
Der Gott, dessen weiße Gliedmaßen zwischen den
Beinschienen, den Panzerteilen und hinter dem funkelnden Schild zu
sehen waren, griff hinter sich und warf, von farbigem Dampf umwabert,
dem Mann eine Rolle zu. Sie fiel in den Schoß des Bärtigen
mit dem kurz geschorenen Haupthaar.
»Spione sagen, daß nach Marathon die Perser ein
gewaltiges Heer rüsten«, wagte der mittelgroße
Grieche zu erwidern.
»Deshalb läßt du die zweihundert Dreiruderer
bauen«, dröhnte der Gott. Die Stimme ließ die Felsen
der Höhle beben. »Ich werde dir einen Baumeister schicken,
einen Gelehrten aus Ägypten, der dich in allem berät.«
»Es ist nicht Zeit genug, die Schiffe zu bauen und zu
bemannen!« sagte der Mann aus Athen. »Du weißt es,
denn was bliebe deinem Blick verborgen.«
»Du sollst dennoch weiterbauen bis zum letzten Tag. Die
Pachtgelder aus den Bergwerken im Laureion hast du schon. Ich gab dir
eben eine Karte, in der du dein Land aus den Augen des Adlers sehen
kannst - denke daran, daß die Perser fünf Schiffe für
je eines deiner Dreiruderer haben, und daß ihr Heer hundertmal
tausend Kämpfer hat.«
Der Umstand, daß er es wagte, der Erscheinung des
waffenfunkelnden Gottes zu widersprechen, zeichnete den Athener aus.
Ächzend richtete er sich auf seine Arme auf und rief anklagend:
»Viele Städte der Griechen weigern sich, Athen und
Sparta zu helfen. Sie halten nichts vom gemeinsamen Abwehrkampf.«
»Der peloponnesische Bund hat dreißig Mitglieder. Die
Priester des Orakels von Delphi sind sicher, daß Xerxes nicht
zu schlagen ist. Sie sagen den Ratsuchenden Vernichtung und Untergang
voraus.
Ich aber sage dir, daß Stürme und Naturgewalten, Listen
und meine Hilfe, die Entschlossenheit der Griechen und die kühnen
Ideen einiger Männer, die aus dem Rand der Welt heraufgeklettert
sind, dir helfen. Lasse dich nicht beirren.«
Der Gott, eineinhalbmal so groß wie ein Sterblicher, machte
einen klirrenden Schritt zur Seite.
Eine wunderschöne Frau, nur mit Geschmeide und einem
phrygischen Helm bekleidet, trat vor.
Ihre Stimme klang sehr viel leiser, aber ebenso drängend und
verführend wie die des Gottes.
»Ich bin die Göttin deiner Träume, Athener«,
sagte sie. »Auch wenn deine Siege, aus der Verteidigung
erwachsen, das persische Reich nicht zertrümmern werden, so
wirst du siegen. Es siegen die Träume, Athener! Jeder soll sich
nach seiner Neigung entfalten können, jeder soll frei reden
können, und kein Mann soll der Sklave des anderen sein. Die
Meder gehorchen einer Stimme, einem Herrscher. Die Griechen glauben
an tausend verschiedene Götter, und so hat jede Stadt ihren
Herrscher zwischen dem Olymp und dem Hellespont. Die Kämpfe
werden es den Griechen zeigen, daß sie eigenständig
bleiben und in Momenten der Gefahr sich zusammenschließen
müssen. Hier, mein Amulett, Themistokles aus Athen. Wenn dein
Finger den Mund der Göttin berührt, dann kannst du mit mir
sprechen.«
Eine Kette wirbelte durch den Rauch. Klirrend landete sie in des
Atheners Hand. An einem unzerreißbaren Ring hing der
stilisierte Kopf der Pallas Athene, der Tochter des Göttervaters
Zeus. Fassungslos stammelte der Mann:
»Also helfen mir die Götter?«
»Alles, was du tun wirst, das sehen wir, und wir helfen dir
auf vielfache Art. Achte auf die Zeichen. Denke kühn,
Themistokles! Du wirst Kühnheit und Unerschrockenheit
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