PR TB 240 Die Grösste Schau Des Universums
den Wohnwagen
verließ. Er hoffte sogar, daß sie ihm folgen würden,
daß das ganze Zirkusvolk auf die Beine kam, um nachzuschauen,
was es denn da zu sehen gab, wenn in tiefer Nacht plötzlich die
Lichter unter der Zirkuskuppel aufflammten.
Jerry sah es ganz deutlich vor sich, er hatte im Geist diese Szene
immer wieder durchgespielt, aber diesmal erschien sie ihm
realistischer als je zuvor.
Er würde das Zirkuszelt aufsuchen und die Scheinwerfer
einschalten, würde es in dem Bewußtsein tun, daß
Cynthia das Zeichen merkte und ihm nachfolgte. Auch anderen konnte es
nicht entgehen, daß da etwas im Gang war. Sie würden aus
den Federn kriechen und einer den anderen wecken und die beleuchtete
Manege aufsuchen. Und sie würden Zeuge der Darbietung zweier
Liebender werden, die beide in wochenlanger Arbeit im geheimen
geprobt hatten: Die tragische Geschichte des Clowns, dessen Liebe zu
einer zauberhaft schönen Prinzessin unerfüllt bleibt; zu
einer Prinzessin auf dem Hochseil, über das sie vor ihm fliehen
will und auf das ihr der weiße Clown folgt, um ihr die rote
Rose zu überreichen.
Und wie paßten Flic & Flac in dieses Konzept? Welchen
Part sollten sie übernehmen, wenn Jerry seinen gefährlichen
Drahtseilakt vorführte und in dem tolpatschigen Bestreben, die
angebetete Prinzessin zu erreichen, immer wieder abzustürzen
drohte? Flick konnte den unerbittlichen Vater mimen, Flac den
zürnenden Bruder, die beide den unerwünschten Verehrer
jagten und ihm alle möglichen Hindernisse in den Weg legten. Es
war eine Geschichte, wie aus dem wirklichen Leben gegriffen, eine
Parallele zu Jerrys und Cynthias Schicksal. Es konnte eine wirkliche
Zugnummer werden.
Jerry ertrug es in der Enge des Wohnwagens nicht mehr. Am liebsten
hätte er den Zwerg und den Riesen geweckt, um ihnen seine
großartige Idee zu unterbreiten. Aber dann dachte er an sein
Versprechen, dieses Thema erst morgen zu diskutieren. Alles in ihm
drängte auch danach, das Zirkuszelt aufzusuchen, um die
Vorbereitungen zu treffen. Aber dann sagte er sich immer wieder, daß
es noch zu früh sei, daß Cynthias Brüder vielleicht
noch wach waren und sie sich nicht heimlich davonstehlen konnte. Wenn
er zu früh dran war und etwa Dr. Ararat aufkreuzte und ihn bei
den Vorbereitungen überraschte, bevor noch Cynthia da war,
konnte das alles zunichte machen.
Darum bändigte Jerry seine Ungeduld und zögerte den
Zeitpunkt immer wieder hinaus. Es mußte in dieser Nacht
geschehen, und es durfte nichts schiefgehen. Denn eine zweite Chance,
vor versammeltem Zirkusvolk aufzutreten und ihre Zusammengehörigkeit
zu demonstrieren, würden er und Cynthia nicht mehr bekommen.
Noch ein paar Minuten, sagte er sich immer wieder.
Er hatte sich schon dreimal abgeschminkt und seine Clownmaske
immer wieder erneuert. Er legte sich hin, stand wieder auf, ging
unentschlossen zur Tür, nur um wieder umzukehren. Dabei wurde er
sich bewußt, daß er nicht nur in der Manege den Clown
spielte, sondern daß er ihn auch im wirklichen Leben
verkörperte.
Reiß dich endlich zusammen und mach dich auf den Weg! sagte
er sich. Aber dann streckte er sich auf seinem Bett aus.
Er war so mit sich beschäftigt, daß er gar nichts von
dem Tumult außerhalb des Wohnwagens mitbekam. Erst als Flac
sich regte und irgend etwas mit verschlafener Stimme sagte, wurde er
aus seinen Gedanken gerissen. Flic schreckte ebenfalls hoch.
»Was glotzt ihr so!« herrschte der Zwerg sie an.
»Merkt ihr denn nicht, daß es brennt!«
Jetzt erst fand Jerry in die Wirklichkeit zurück.
Stimmengewirr, vereinzelte Schreie, hastende Schritte und eine Reihe
anderer undefinierbarer Geräusche vermischten sich zu einer
Lautkulisse. Und dazwischen erklang immer wieder der verzweifelte
Ruf: »Feuer! Feuer!«
Jemand polterte gegen ihre Tür und riß sie auf. Es war
der indianische Messerwerfer Geronimo, seine Gestalt wurde von
flackerndem Feuerschein erhellt.
»Das Hauptzelt brennt!« rief er.
Jerry stürzte ins Freie, stolperte über die Treppe des
Wohnwagens und fiel der Länge nach hin. Irgend jemand trampelte
über ihn hinweg. Als er sich wieder aufrappelte, sah er zum
erstenmal das ganze Ausmaß der Katastrophe.
Das Hauptzelt brannte lichterloh. An einer Stelle hatten die
Flammen ein großes Loch in die Plane gefressen, und daraus
schoß eine fauchende Lohe hervor. Einige Halteseile brannten
durch, so daß das Zelt auf dieser Seite einsackte.
Beim Publikumseingang und beim Manegengang wütete das Feuer
am heftigsten.
Weitere Kostenlose Bücher