PR TB 242 Herr Der Hundert Schlachten
Herzschlag zu
Herzschlag abgrundtiefer wurde. Neben der großen Treppe führte
ein Pfad aufwärts, von ausgetretenen Steinplatten unterbrochen.
Mein Führer glitt durch die Finsternis wie eine Schlange, ich
folgte ihm stolpernd und rutschend. Wir gelangten durch eine schmale
Tür in den äußeren Tempelhof. Der Tempel war nur
klein, aber er glich den riesigen Bauten des Nillands. In kleinen
Nischen flackerten Öllampen, es roch nach Weihrauch, und
zwischen den Mauern hörte ich das singende Murmeln von
Männerstimmen, die unbekannte Gebete leierten. Neben dem
innersten Tempelraum verlief ein schmaler Korridor aus Steinplatten,
durch den wir tappten. Dann, nach einem Weg um viele Ecken herum,
gelangten wir in ein Gewölbe, das aus vielen kleinen Zellen
bestand und in Wirklichkeit die Rückwand des Tempels bildete.
Eine Tür wurde knarrend geöffnet, und ich trat in ein
würfelförmiges Gemach. Ein großes Fenster, vor dem
sich ein dünner Vorhang blähte, öffnete sich auf das
Hinterland der Oase. Im Licht vieler Öllampen erkannte ich einen
alten, kahlen Mann mit weißen Brauen und ebensolchem Bart.
»Ammon-Redjedet?« fragte ich. Hinter mir schloß
der Priester von außen die Tür.
»Setze dich. Der Mond, scheint es uns, steht günstig
für Traum und Wandel.«
Ich versuchte, diese Gesprächseröffnung zu analysieren,
setzte mich in einen knarrenden Holzstuhl und lehnte mich zurück.
Dann sagte ich bedächtig:
»Wir sollten die Worte von den Träumen scheiden,
Priester. Was willst du wissen?«
»Wir kennen das Orakel, das uns Dinge berichtet, die sich an
anderer Stelle in den Herzen der Menschen abspielen. Wir schmieden
keine Pläne im
Feuer.«
Die Priester sprachen aus, was das Orakel verkündete. Ich
wußte, daß sie es durch Bejahen oder Verneinen von
gestellten Fragen der Ratsuchenden taten und versuchte, mich dieser
Technik anzugleichen.
»Du erwartest einen Fragenden, der wichtig und groß
ist unter den Königen dieser Welt.«
»Ja.«
»Und du willst von mir wissen, ob ich ihn kenne. Das kann
nur bedeuten, daß sich die Antworten des Orakels danach
richten, was ich dir sage. Leblose Dinge vermag ich nicht sprechen zu
lassen. Aber ich kenne diesen Herrscher, der ein mächtiger
Krieger von unendlicher Tapferkeit ist.«
»Ammon kann die Ameisen laufen hören. Was wird
Alexander fragen?«
»Ich habe seinen Namen nicht genannt, Priester!«
betonte ich. Der alte Mann lächelte wissend. Unzählige
Runzeln zerteilten sein schmales Gesicht. Zwischen dünnen Lippen
leuchteten weiße Zähne. Die hageren Greisenfinger spielten
mit dem Ammonsamulett. Der Blick des uralten Mannes, dessen Stimme
von den Jahren kaum gebrochen war, verriet Klugheit und ein Wissen,
das über das Vermutete weit hinausging. Ich formulierte in
Gedanken meine Antwort aus.
»Nur wenn wir von demselben Mann sprechen, weiser
Ammon-Redjedet, gilt, was ich sage. Werde ich die Welt beherrschen?
wird er fragen. Wohin führen mich die Kämpfe der nächsten
Monde und Jahre? Wie sieht die Welt aus, wo sind ihre Grenzen? Ich
will Persiens Volk und die Griechen zusammenführen unter eine
Herrschaft. Wie lange werde ich leben? Messe ich dem Adlerflug die
richtigen Bedeutungen bei? Wer schenkt mir mehr Jahre als einem
anderen Sterblichen? Jeder Morgen, wird er dir sagen, fällt
sinnlos in meine fragenden Gedanken, in mein unsicheres Herz.«
Nach einer Weile entgegnete der Priester:
»Dies fragen viele, die Ammon um Rat ersuchen.«
»Aber selten ist einer so mächtig wie jener
Ratsuchende«, gab ich schnell zurück. »Wann kommt
er?«
Zu meiner Überraschung erhielt ich die ruhige Antwort:
»Wenn Tyrus gefallen und Gaza genommen ist, und wenn er die
Krone beider Länder empfängt, der Länder am ewigen
Nil.«
Ich beugte mich vor, faßte den Greis ins Auge und murmelte:
»Du weißt mehr als andere Sterbliche, Mann! Enträtselt
Ammon die Steinschrift der Herzen? Tragen dir Falken die Nachrichten
zu? Und wer von euch kennt die Zukunft?«
»Ammon spricht aus mir. Ich bin das Werkzeug.«
»Dann wird Ammon auch wissen«, erwiderte ich leicht
ärgerlich, »daß ich bei mir das größte
oder verderblichste Geschenk trage, das je einem Menschen gemacht
werden kann?«
»Nur die Götter verleihen den Sterblichen Allmacht,
Glück und ein Leben, das nach Jahrhunderten zählt.«
Er weiß alles! Er liest die Schrift deines Verstands, rief
in höchster Erregung
der Logiksektor.
Ich schloß die Augen und sank in meinem Sessel zusammen. Das
war unmöglich!
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