PR TB 242 Herr Der Hundert Schlachten
Der alte Priester versuchte mich hereinzulegen.
Er gab vor, mehr zu wissen. Was sollte ich tun?
»Besitzest du das endlose Leben?« fragte ich. Ich
hätte die Antwort wissen müssen.
»Nicht das Leben auf dieser Welt.«
»Kannst du durch Ammon dieses Geschenk austeilen?«
»Ammon prüft die Spuren des Verfalls, und er rät
nur, sagt nur Wahrheiten, lehrt die Menschen, aber er vergibt keine
Zaubertränke. Deine Gedanken sind wirr, denn du weißt
nicht, ob du dem Falschen das Geschenk machst, ob es zum Guten oder
Bösen führt, und ob nicht das Wissen darum, unverwundbar
wie ein Gott zu sein, den Menschen übermütig, lästernd
und maßlos machen muß. Aus dem Fackelfeuer in der
Bergwand kann ein Lauffeuer werden, das die Länder verbrennt.«
»Das fürchte ich, und überdies habe ich Grund,
meine Dummheit zu fürchten«, antwortete ich. »Für
einen Weisen wie dich ist dies unschwer festzustellen.«
»Es ist so«, sagte Ammon-Redjedet und lächelte
breit, »daß wir beide unsicher sind. Jeder versucht, vom
anderen Antworten auf seine Fragen zu bekommen. Jeder zögert,
das Geschenk einem Unwürdigen zu übergeben. Warum lassen
wir nicht Ammon entscheiden?«
»Mein Freund«, antwortete ich nachdenklich, »es
ist so, wie du sagst. Ich habe in einem wahrhaft langen Leben
gelernt, Götter zu achten. Aber ich zögere, einem Orakel zu
glauben. Wenn ich dieses Geschenk in deine Hand lege und dich bitte,
Ammon entscheiden zu lassen?«
»Dann werde ich tun, was Ammon für richtig hält«,
sagte der Priester von Siwa. Ich drehte mich herum und ergriff den
zierlichen Stiel einer brennenden Öllampe. Ich deutete auf die
Flamme und sagte:
»Jemand hat die Lampe entzündet. Gäbe es genügend
Öl, würde sie unendlich lange brennen. Aber.«
Mit einem kurzen, heftigen Atemstoß löschte ich die
Flamme.
»... jede Lampe, Öl hin oder her, ist auszulöschen.
Auch ein Geschenk kann genommen werden. Wenn es Ammon gelingt,
Alexander zu lehren, was diese Welt braucht, dann soll er dieses
Geschenk haben.«
Der Greis neigte den Kopf.
»Dein Gott oder Herrscher muß sehr mächtig sein.
Mächtiger als Ammon? Mag sein. Ich habe dich verstanden, und im
Namen Ammons verspreche ich, so zu handeln, wie es besprochen wurde.«
Die Zelle war karg, aber nicht ungemütlich eingerichtet.
Hunderte von Papyrusrollen steckten in großen Aussparungen der
Wände. Tierfelle am Boden, ein Schreibpult, Hocker und Bilder
aus Erdfarben an den Sandsteinwänden vervollständigten das
Bild des Raumes, der dem Schlafen und Nachdenken diente. Die
Ammon-Priester schienen von großer Anspruchslosigkeit zu sein,
wenigstens in ihrem unmittelbaren Leben. Ich
sah nicht einmal einen Bierkrug. Langsam holte ich das Amulett
hervor, das einer flachgedrückten Kugel glich, einem Diskus, wie
eine Münze geprägt. Ich betrachtete das eingeprägte
Bild. Es zeigte unverkennbar den Kopf Alexanders mit dem nackenlangen
Lockenhaar, jenen »Löwenkopf« mit dem Widdergehörn
des Ammon!
ES! Das Spiel, in dem wir nur Figuren waren, schien perfekt
vorbereitet zu sein. Immer wieder ES mit seinen Kenntnissen! War es
möglich, daß ES längst wußte, wie alles endete?
Warum dann dieser genau definierte Auftrag an uns? Warum der riesige
Aufwand an Menschen, Androiden und Material? Ich legte Kette und
Amulett in die Hand des Priesters.
»Wenn Ammon Alexander dieses Amulett gibt, schenkt er ihm
eine endlose Reihe von Jahren!«
Von der fast unerschütterlichen Gesundheit sagte ich nichts,
allerdings auch nichts davon, daß ihn ein Pfeilschuß ins
Auge oder ins Herz auch mit dem Amulett tötete. Schweigend
betrachtete Ammon-Redjedet das Bild.
»Das also ist Alexander«, stellte er ruhig fest. Ich
nickte. Da immer wieder Pilger hierher kamen, fingen die Priester
viele Informationen aus fernen Ländern auf. Das bedeutete, daß
sie in vielen Sprachen nicht unerfahren waren. Aber wie schafften sie
es, derart perfekt orientiert zu sein? Und woher bezogen sie das
Wissen über die unmittelbare Zukunft der Ora kelsuchenden?
»Ja. So sieht er aus«, bestätigte ich. Wieder
hatte ich Gelegenheit, das Leben im Tempel zu bewundern. Es klopfte
an der Tür, ein junger Mann mit feurigen Augen brachte auf einem
hölzernen Tablett zwei große Becher. Er stellte schweigend
den Wein auf kleine Tische vor uns ab und zog sich ebenso lautlos,
wie er gekommen war, wieder zurück.
»Nun«, sagte ich und hob den Becher. »Du hast
mich gerufen, um Antworten zu bekommen. Woher weißt du von
mir?«
»Du
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