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PR2604-Die Stunde der Auguren

PR2604-Die Stunde der Auguren

Titel: PR2604-Die Stunde der Auguren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wim Vandemaan
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ergänzte Minister Rooda.
    »Eine unsichtbare Dunkelheit«, sinnierte Bull. »Die uns verwirrt und außer Kraft setzt. Dunkelheit als Waffe.«
    Rooda hob beide Hände und strich sich die Haarpracht hinter die Ohren. »Ich hielt es für wichtig genug, um euch direkt zu informieren. Es steht ja zu befürchten, dass zurzeit allerlei in der Flut von Informationen untergeht.«
    »Danke!« Bull nickte.
    Der Ara und Rooda erhoben sich. Edorta Asteasu begleitete die beiden aus Eins-Eins.
    »Du glaubst, dass diese Verdunkelung des Geistes kein Zufall ist?«, erriet Ybarri.
    Bull lachte bitter. »Jedenfalls glaube ich nicht, dass wir es mit einem freundlichen Akt zu tun haben, dass es Freunde sind, die uns zu sich holen wollten.«
    Ybarri sah ihn nachdenklich an. »Kleine Kinder sehen es manchmal auch nicht als freundlichen Akt an, wenn man sie zu gegebener Zeit ins Bett steckt, statt sie endlos weiterspielen zu lassen.«
    Sie sah, dass Bull ihr Argument erwog. Schließlich schüttelte er den Kopf.
    »Draußen – in Terrania City, auf Luna, den anderen Planeten – sterben überall Menschen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass all das eine erzieherische Maßnahme ist. Durchgeführt zu unser aller Bestem. Nein. Wir werden angegriffen, Henrike. Aus allen Richtungen und mit allen Mitteln. Selbst«, er tippte sich gegen die Schläfe, »selbst in unserem Gehirn.«
    »Ich weiß nicht«, sagte Ybarri. »Wenn es ein Angriff ist: Besäße jemand, der das komplette Solsystem versetzen kann, und zwar über eine gar nicht abschätzbare Entfernung, nicht auch die Möglichkeit, das System zu zerstören?«
    Bull sagte: »Vielleicht geschieht das ja eben jetzt. Nur nicht auf einen Schlag, sondern allmählich. Mit einer grausamen Langsamkeit.« Er massierte sich kurz das Kinn. Es kratzte. »Tut mir leid, aber ich möchte nicht, dass wir uns einreden, die Dinge stünden besser, als sie tatsächlich stehen.«
    Ybarri nickte und lächelte. »Vielleicht«, überlegte sie, »stehen sie ja noch viel schlechter.«

Gespensterbotschaft
     
    Anicee hatte einen Flüchtigkeitsfehler begangen: Sie hatte Auris eine kurze Gespensterbotschaft über MultiKom geschickt und ihren Vater ins Zur Kenntnis gesetzt. Die Selbstkontrolle hatte die Nachricht Zur Kenntnis passieren lassen – warum auch nicht, schließlich gehörte Routh zu den PPs seiner Tochter, den Privilegierten Personen.
    Anicee hatte einen Flüchtigkeitsfehler begangen, und Routh hatte ihn eben erst und rein zufällig entdeckt.
    Die Gespensterbotschaften hatte es schon in Anicees präpädagogischer Zeit gegeben, aber die frühen Versionen waren für die Eltern noch lesbar gewesen. Routh erinnerte sich sogar, dass er und Anicees Mutter sich über diese knappen, zweidimensionalen Filmchen amüsiert hatten, die im Monitor der MultiKoms spukten: die leicht verzerrten Gesichter Anicees und ihrer Freundinnen mit der übertriebenen Mimik, die Bangigkeit in nackte Angst und Panik, Spaß in schieres Hosianna steigerte. Dazu unwirkliche Hautfarben: das Gesicht von Anicee und ihren Freundinnen fahlweiß, nebelgrau, tomatenrot, dazu knochenbleiche Haare.
    Im Lauf der Jahre aber hatten sich die Gespensterbotschaften zu einer eigenen, für nicht Eingeweihte unverständlichen, pantomimischen Sprache entwickelt. Auch Routh konnte die chiffrierten Gesichter und ihre mimischen Hieroglyphen längst nicht mehr lesen – Botschaften einer sich immer mehr abkapselnden Generation.
    »Noch immer nichts?«, hatte Routh den Servo gefragt, nachdem er in die Wohnung zurückgekommen war.
    »Nein.«
    »Nichts? Liegt überhaupt nichts von Anicee vor?«
    »Nichts Aktuelles jedenfalls. Nur diese visuelle Botschaft, die sie via MultiKom an Auris geschickt hat.«
    »Zeig sie mir!«, hatte Routh gefordert.
    In diesem Moment sah er die Gespensterbotschaft zum vierten Mal.
    Und verstand nichts. Anicee vor einer abstrakten Kulisse, in der man nur mit Mühe Terrania City erkennen konnte. Der aschgraue Himmel, das aschgraue, grotesk in die Länge gezogene Gesicht Anicees, ihr wellenförmiger, wie zu einem Schrei geöffneter Mund; die langen, schmalen Hände an den Wangen; die in einem trägen Wind träge dahinfließenden Haare. Der abrupte Wechsel des Ausdrucks: von schierer Verzweiflung zu Euphorie. Die förmlich vor Licht explodierenden Augen. Der Sinn der Botschaft blieb ihm verschlossen.
    Anicee hatte Auris Bugenhagen, soweit er wusste, in Luna City kennengelernt. Auris – Routh überlegte, wann es Mode geworden war, den Kindern

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