PR2604-Die Stunde der Auguren
ein und – Lichtblitz, Ende.
Routh fluchte.
»Das war keine Hundertstel Sekunde«, informierte Puc.
»Ich habe nichts gesehen.«
»Aber ich.«
»Zeig es mir.«
»Ich muss noch ein wenig rechnen. Die Daten sind allzu lückenhaft.«
Routh schloss die Augen und wartete auf die paramechanisch eingespeiste Erinnerung.
Als sie ihm endlich kam, war es ein einzelnes, stillstehendes Bild. Die Farben schienen allesamt unecht und irreal. Routh blickte in einen fast völlig leeren Raum. Zwei Stelen standen da, Metallpfeiler von etwa zwei Metern Höhe, die Routh hätte mit beiden Händen bequem umschließen können. Das Metall schien glatt poliert und schimmerte grauschwarz. Wie tief sie im Boden steckten, konnte Routh nicht erkennen.
Im Hintergrund stand auf drei dünnen Beinen ein dreieckiger Tisch. Auf der Tischfläche lag etwas wie ein Holzklotz, ein längliches, organisch wirkendes, teigig unebenes Gebilde, dunkel und irgendwie amorph.
»Was ist das?«, fragte Routh.
»Ich versuche, das Bild ein wenig glatt zu rechnen«, teilte Puc mit. Die Umrisse des Gebildes schärften sich etwas. Routh sah, dass eine der Längsseiten des Blockes eine andersfarbige, kreisrunde Fläche aufwies. Aus der anderen Längsseite quollen Schleifen oder Bänder.
Die Konturen wurden noch etwas deutlicher. Routh schluckte.
»Das ist der Torso eines Menschen«, sagte Puc. »Ein Teil einer Leiche.«
»Ja.«
»Wahrscheinlich erst kürzlich exhumiert.«
Ein unangenehmer Geschmack war Routh übergangslos in den Hals gekommen.
Anicee, dachte er. In was bist du da hineingeraten? In was geraten wir da alle hinein?
*
Auris' Mutter hatte noch einmal mit Routh reden wollen. Routh hatte abgelehnt. Er war zu unruhig. Er hoffte, Anicee würde sich baldmöglichst nach Terrania auf den Weg machen. Vielleicht würde sie sich sogar bei ihm melden, sie wusste ja nicht, dass er sie in Hamburg gesehen hatte. Sicher, das war nur eine vage Möglichkeit. Aber er wollte sie nicht verpassen.
Er bot Theodora Bugenhagen an, mit ihm nach Terrania zu fliegen. Dort würde sie eine Chance haben, ihre Tochter zu sehen und mit ihr zu reden. Dort würde sie sie vielleicht überzeugen können, aus der Gefolgschaft dieses Pseudo-Auguren auszutreten und zurückzukommen.
Das wieder hatte sie abgelehnt und das Gespräch zur beiderseitigen Unzufriedenheit geendet.
Der Rückflug nach Terrania war ein einziger Albtraum. Der Transit-Gleiter musste in Warschau notlanden. Die Reparatur kostete Routh fast vier Stunden. Die Strecke über Moskau und das Schwarze Meer war aus unbekannten Gründen gesperrt. Er musste zunächst in Kairo, dann noch einmal in Bombay umsteigen.
Es war ein katastrophaler Fehler gewesen, Anicee keine Mikrosonde hinterherzuschicken. Schließlich musste auch sie zurück nach Terrania. Seine Hoffnung, sie könnte aus reinem Zufall im selben Transitgleiter sitzen wie er, zerschlug sich jedes Mal.
Allerdings saß er sowohl auf der Strecke nach Kairo als auch auf dem Flug nach Bombay und auf dem Weiterflug nach Terrania inmitten jugendlicher Reisender, die sich, wie es schien, alle auf den Weg gemacht hatten, um den Auguren zu hören. Nicht anders hatte es auf den Flughäfen ausgesehen. Von überall her kamen junge Terraner zu Stradhaird.
Religiöser Wahn, dachte Routh. Aber was für eine Religion sollte das sein? Worauf setzte sie ihre Hoffnung? Wer waren ihre Götter?
Er bat Puc, seine Aufzeichnung der Augurenrede und der Reaktionen der Zuhörer zu durchmustern. Außerdem sollte er die Gespräche an Bord der Transitgleiter auswerten. Die Passagiere unterhielten sich wenig, aber ohne Einsatz von akustischen Dämpfungsfeldern. Routh und Puc unternahmen also nichts Ungesetzliches.
»Ich kann kein theologisch-transzendentes Muster entdecken«, teilte Puc ihm bald darauf mit. »Weder wird von metaphysischen Wesen berichtet, noch Auskunft über eine transzendente Existenzebene gegeben oder auch nur versprochen.«
Routh nickte unwillig. »Ja, ich weiß. Aber was ist es dann?«
»Was ist was dann?«
»Der Augur. Die Auguren.«
Puc tröpfelte ihm die Erinnerung ein: Auguren waren ursprünglich im Imperium Romanum tätig gewesen, das selbst lange vor Rhodans Jugend existiert hatte. Ihnen hatte es oblegen, zu erschauen, ob und inwieweit ein Vorhaben des Gemeinwesens oder des Familienoberhauptes den Göttern gefällig war. Beraten ließen sie sich vom Flug und Schrei der Vögel, die sie als Zeichen nahmen, oder aus den Gedärmen anderer Tiere. Der
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