PR2616-Countdown für Sol
Wohnzimmer. Ein einziger Gast saß am Tisch.
»Guten Tag!«, sagte Boko.
Der Fremde antwortete mit einem würdevollen Kopfnicken.
»Das ist Stradprais«, stellte Asper den Fremden vor, »ein Freund der Familie.«
»Sehr erfreut, Stradprais!«
Der Fremde erhob sich kurz, sie reichten sich die Hand. Der Mann war klein, so um die 1,60 Meter, schätzte Boko. Er war sehr menschenähnlich, aber irgendwie hatte Korbinian den Eindruck, dass es sich nicht um einen Terraner und auch keinen Menschenabkömmling handelte. Die weiße Haut des Fremden schimmerte vielfarbig, wenn Licht darauffiel. Die Augen hatten senkrecht geschlitzte Pupillen. Die Iris schimmerte in einem matten Goldton. Stradprais blinzelte häufig, kniff immer wieder die Augen zusammen, als sei es ihm zu hell.
Der Fremde trug einen Anzug mit großzügigem Faltenwurf, der ihn kräftiger erscheinen ließ, als er vermutlich war.
»Das Essen war vorzüglich«, lobte der Fremde mit sonorer Stimme. »Das Restaurant, in dem du arbeitest, kann sich glücklich schätzen, einen derart begabten Meister seines Faches zu beschäftigen.«
»Danke, vielen Dank! Das ist zu viel der Ehre!«
Der Fremde sprach ein fast akzentfreies Terranisch. Korbinian rätselte, warum er in der Wortwahl so übertrieb.
»Asper hat mit dir schon über deine Schwester gesprochen, nicht wahr?«
»Das stimmt. Aber wie kommst du ausgerechnet auf meine Schwester?«
»Ich hatte bei dir in der Nähe zu tun und hörte von ihrem Schicksal.«
Irgendwie war etwas in der Stimme von Stradprais, das Korbinian Boko stutzig werden ließ. Es klang zu glatt, wie er es sagte. So, als sei es das Normalste der Welt.
»Wie lange lebst du schon auf Terra?«
Tiffany Farquar mischte sich ein. »Korbinian, verwirre Stradprais nicht so. Sein Talent beruht auf seiner extremen inneren Ruhe. Er ist wie du ein Meister seines Faches.«
»Entschuldige, ich wollte dir nicht zu nahe treten.« Er bereute bereits, dass er zugesagt hatte. Aber jetzt war es zu spät. »Für mich ist es dann Zeit zu gehen. Ich wünsche euch einen schönen Abend.«
»A... aber willst du dir nicht wenigstens anhören, was Stradprais dir anzubieten hat?«
Im letzten Augenblick schluckte Korbinian ein geharnischtes »Nein« hinunter. Es war besser, nach dem Grashalm zu greifen, als gar nichts in der Hand zu haben.
»Du glaubst also, meiner Schwester helfen zu können.«
»Ja. Mehr kann ich dir aber erst sagen, wenn ich sie gesehen habe.«
»Komm mit. Ich zeige sie dir.«
Sie einigten sich darauf, dass Stradprais ihn noch an diesem Abend aufsuchte. Korbinian verließ Heng Heng und kehrte zu Lia und der Stillen Ve zurück. Die Pflegerin zog sich diskret zurück, kaum dass er das Zimmer seiner Schwester betreten hatte. Korbinian meinte die Ruhe und Vertrautheit zu spüren, die von der Stillen Ve ausging.
Er wartete. Als eine knappe Stunde später die Halb-Ferronin wieder erschien, nickte er nur und erhob sich.
Stradprais trat ein. Er trug ein schlichtes Gewand in dunklem Grau, unter dem die Spitzen enger Schuhe hervorlugten. Der Fremde legte den Zeigefinger auf den Mund und trat ans Bett.
Korbinian hatte Lia schon auf den Besuch vorbereitet. Sie lag mit geschlossenen Augen da, als schliefe sie. Doch ihre Nasenflügel flatterten von heftiger Anstrengung.
»Keine Sorge«, sagte Korbinian. »Er wird vorsichtig sein.«
Stradprais begann Lia zu untersuchen, besser gesagt, er tat das, was er dafür hielt. Korbinian konnte sich nichts unter den merkwürdigen Armbewegungen vorstellen, eher schon unter den leicht gewölbten Handflächen, die ihn an Schüsseln antiker Sendeanlagen erinnerten.
»Ich sammle Energie von ihrer Körperaura. Diese Energie spricht zu mir«, murmelte der Fremde, ohne aufzusehen. Gut ein Dutzend Mal umrundete Stradprais die Überlebenseinheit, dann setzte er eine wichtige Miene auf. »Ich werde es versuchen.«
Unter seinem Gewand zog er einen Gegenstand hervor, ein merkwürdiges Ding, das wie eine Mischung aus Mini-Dudelsack und Trompete aussah. Er nannte das Gerät Phenube. Nachdem er den Luftsack umständlich auseinandergefaltet hatte, blies er in das Luftrohr und begann die Trompete zu spielen. Leise, säuselnde Töne erklangen, unterbrochen von kraftvoll melodischen Stößen.
Korbinian begriff schnell, dass nicht die Musik das eigentlich Wichtige an diesem Instrument war, sondern die unhörbaren Schwingungen, die von diesen Tönen und dem Dudelsack ausgelöst wurden.
Eine Stunde lang veranstaltete Stradprais
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