PR2632-Die Nacht des Regenriesen
seine Vorgängerin und ihren rätselhaften Humor.
*
Das Gespräch mit dem Residenten fiel kurz aus. Bull hieß den Plan gut und versprach, den gewünschten Kode innerhalb der nächsten Minuten übermitteln zu lassen.
Nachdem der Resident die Verbindung beendet hatte, schloss er für einen Moment die Augen.
»Neue Probleme?«, fragte Ybarri, die eben in Eins-Eins zurückgekehrt war.
»Die BOMBAY ist vor etwa einer Stunde ins Solsystem zurückgekehrt«, sagte Bull.
»Gut oder nicht gut?«, fragte Ybarri.
Bull zuckte die Achseln. »Wir wissen es nicht. Das Schiff sendet ein Notsignal, antwortet aber nicht auf unsere Anrufe. Es fliegt abgekapselt in seinem Paratron.«
»Das kann viele Gründe haben.«
Bull lachte bitter auf. »Natürlich. Es sind immer viele Notfälle denkbar. Aber in welcher Not sie auch immer sind: Ich habe sie hineingeschickt. Vielleicht hätte ich das Schiff gar nicht auf die Reise schicken sollen. Wir wissen ja nichts über die Anomalie.«
Ybarri setzte sich und rieb sich kurz die Augen. »Was, wenn ich mich recht entsinne, der Grund war, die BOMBAY loszuschicken.«
»Ich hätte einen größeren Verband auf den Weg beordern sollen. Ich hätte ...«
»... dann vielleicht heute erlebt, dass ein ganzer Verband schweigend und unter Notsignalen auf die Erde zufliegt.« Sie machte eine kurze Pause. »Wer kümmert sich darum?«
»Vashari hat Baeting darauf angesetzt. Mit der LEIF ERIKSSON und neun weiteren Schiffen. Sie werden die BOMBAY stoppen. Wenn es sein muss, mit allen Mitteln.«
Ybarri lachte. Bull sah sie verblüfft an.
Sie grinste: »Das ist doch, wie wir schließlich immer vorgegangen sind, nicht wahr? Mit allen Mitteln. «
Bull dachte einen Moment nach und überlegte, was er erwidern sollte. Irgendetwas Staatstragendes, etwas so Weitsichtiges, wie es nur relativ Unsterblichen möglich war.
»Sollen wir einen Kaffee trinken?«
Ybarri nickte. »Das ist die übliche Prozedur.« Sie lächelte schwach. »Immerhin hat das Warten ein Ende.«
Und er spürte, dass sie sein Warten meinte, nicht ihres. Nicht das Warten auf ein Lebenszeichen ihrer Tochter.
Nachtflug
Die Hazienda der Abbs lag auf halbem Weg zwischen Mérida, der Hauptstadt Yucatáns, und Progreso, einer kleinen Küstenstadt mit nicht mehr als 50.000 Einwohnern.
Sie hatten ihr Zelt gut zehn Kilometer von der Hazienda entfernt aufgestellt. Ein Flug von wenigen Minuten. DayScha saß hinter Geronimo auf. Mit leichtem Unbehagen spürte er, wie ihre Körperwärme auf ihn überging.
»Hast du Fieber?«, fragte er.
»Nein. Sollte ich?«
Er zuckte die Achseln, legte den Daumen in den Autorisator und startete.
Der Prallfeldzweisitzer hob sie leicht vom Boden, der Druckluftantrieb zischte los. Geronimo zog das Gefährt steil nach oben. Schon bei hundertfünfzig Metern über dem Boden sollte das Sicherheitssystem die Flughöhe drosseln.
Normalerweise.
Geronimo war es gelungen, dieses Sicherheitssystem zu ein wenig mehr Höhentoleranz zu überreden. Er las die Höhe auf dem erleuchteten Display ab, der einzigen Lichtquelle weit und breit.
DayScha blieb still, selbst als sie bereits auf 400 Metern waren.
Erst bei 500 sagte sie: »Kannst du die Zona schon sehen?«
Er lachte. Konnte er natürlich nicht. Die Zona Mexiko lag über 700 Kilometer entfernt, auch auf dieser Höhe noch weit hinter dem Horizont. Auf welche Höhe hätte er gehen müssen? 10.000 Meter? 20.000?
Früher, als der Prallfeldzweisitzer noch Occam gehört hatte, seinem älteren Bruder, waren sie manchmal zu zweit in die Nacht geflogen – südwestwärts, die Küstenlinie der Campechebai entlang, an Villahermosa vorbei, ab Coatzacoalcos landeinwärts, dann den Citlaltépetl hinauf auf 5400 Meter Höhe. Die Luft dort war klar und hart und kalt wie Glas.
Schließlich hatten die Lichter der Riesenstadt unter ihnen gelegen, als wäre die Milchstraße über die Erde ausgegossen worden.
Occam hatte die Zona immer geliebt, er hatte immer dort leben wollen. Also war er schon vor einem Jahr – im Alter von 17 – von der Hazienda fortgezogen und hatte sich eine Wohnung in der Zona genommen. Ihre Eltern hatten sein Appartement bezahlt, und er hatte sich dafür mit einem täglichen Vidfon-Gespräch revanchiert.
Wobei er es immer häufiger verstanden hatte, es so einzurichten, dass ihre Eltern das Gespräch nicht persönlich entgegennehmen konnten.
In diesen Fällen hatte er zunächst normale Vidfon-Nachrichten hinterlassen; später nur noch
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