Pretty Little Liars - Makellos
der Bildfläche erschienen und auf einmal war Schule nicht mehr so wichtig. Nichts außer Wren war mehr wichtig.
Sie hatte Mittwoch bei ihm übernachtet. Gestern war sie erst zur dritten Stunde in der Schule aufgetaucht, und dann hatte sie ihr Hockeytraining geschwänzt, um den Zug nach Philadelphia zu nehmen, weil sie dachte, mit der Bahn wäre sie schneller als mit dem Auto. Leider hatte der Zug schreckliche Verspätung, und als sie in der Stadtmitte ankam, blieb ihr nur eine Dreiviertelstunde, bis sie wieder zurückfahren musste, um rechtzeitig zum Abendessen zu Hause zu sein.
Also hatte Wren sie am Bahnhof getroffen und sie hatten auf einer abgeschiedenen Sitzbank hinter dem Blumenstand geknutscht. Als Spencer wieder im Zug saß, waren ihre Wangen gerötet, und sie duftete nach Flieder.
Ihr fiel auf, dass am Montag ebenfalls eine Arbeit für ihren Italienischkurs fällig war: eine Übersetzung der ersten zehn Gesänge von Dantes Inferno . Und für Englisch ein dreiseitiger Aufsatz über Plato. Ein Algebratest und das Vorsprechen für Rosewoods erstes Theaterstück des Schuljahres standen am Montag ebenfalls auf dem Programm. Sie ließ verzweifelt den Kopf auf den Tisch sinken.
»Ms Hastings?«
Überrascht sah Spencer auf. Es hatte geklingelt, die anderen Schüler hatten das Klassenzimmer verlassen und sie war allein mit McAdam. »Tut mir leid, dass ich Sie geweckt habe«, sagte er eisig.
»Nein … ich habe nicht …«, stammelte Spencer und griff nach ihrem Schreibzeug. Aber zu spät. McAdam wischte bereits den Tafelanschrieb ab. Er schüttelte langsam den Kopf, als sei sie ein hoffnungsloser Fall.
»Okay«, murmelte Spencer. Sie saß an ihrem Computer, Bücher und Aufzeichnungen um sich herum ausgebreitet. Langsam las sie die erste Essay-Frage noch einmal durch.
Erklären Sie Adam Smiths Konzept der »unsichtbaren Hand« in einer Laissez-faire-Wirtschaft und belegen Sie es anhand eines aktuellen Beispiels.
Puh. Unter normalen Umständen wäre Spencers Wissensstand zu diesem Zeitpunkt ein völlig anderer gewesen: Sie hätte die Sekundärliteratur und Adam Smiths Buch längst
durchgeackert, sich die entsprechenden Seiten markiert und die Antworten umrissen. Aber diesmal hatte sie nichts von alledem getan. Sie hatte nicht einmal den leisesten Schimmer, was Laissez-faire in diesem Zusammenhang überhaupt bedeutete. Hatte es mit Angebot und Nachfrage zu tun? Was war daran bitte schön unsichtbar? Sie tippte ein paar Suchbegriffe bei Wikipedia ein, aber die Artikel waren komplex, und von den Theorien hatte sie noch nie gehört. Genauso ging es ihr mit ihren Aufzeichnungen. Sie waren ihr vollkommen fremd, als stammten sie von jemand anderem.
Sie schuftete seit elf langen, anstrengenden Jahren für die Schule – zwölf, wenn man das Montessori-Jahr vor ihrer Kindergartenzeit mitrechnete. Durfte sie es sich da nicht ein einziges Mal erlauben, einen langweiligen Zwei-minus-Aufsatz einzureichen und die Note im Rest des Schuljahres wieder auszubügeln?
Nur waren seit gestern Abend gute Noten wichtiger als jemals zuvor. Als Wren und sie sich gestern am Bahnhof verabschieden mussten, schlug er vor, sie solle bereits nach der Elften ihren Abschluss machen und sich bei der Uni bewerben. Spencer gefiel der Gedanke auf Anhieb, und in den letzten Minuten bevor der Zug abfuhr, sprachen sie von der Wohnung, die sie sich teilen würden, von separaten Arbeitsecken und einer Katze, die bei ihnen leben würde. Wren hatte als Junge nie eine haben dürfen, da sein Bruder allergisch gewesen war.
Die Idee hatte Spencer auf der Rückfahrt nach Rosewood nicht mehr losgelassen. Kaum daheim, war sie schon am Nachrechnen, ob ihre Noten für einen vorgezogenen Abschluss in diesem Jahr reichten, und aus dem Internet zog sie
sich ein Bewerbungsformular für die U Penn, die University of Pennsylvania. Es war ein bisschen ungeschickt, dass Melissas Wirtschaftsschule auch an der Penn war, aber die Uni war riesig, und sie würden sich bestimmt nie über den Weg laufen.
Spencer seufzte und schaute auf ihr Handy. Wren hatte versprochen, heute zwischen fünf und sechs Uhr anzurufen, und jetzt war es halb sieben. Spencer mochte es nicht, wenn Leute ihre Versprechen nicht hielten. Sie checkte ihre Anrufliste und rief ihre Mailbox an, um zu prüfen, ob sie Empfang hatte. Keine neuen Nachrichten.
Schließlich rief sie bei Wren an, wurde aber nur von der Mailbox begrüßt. Spencer warf das Handy aufs Bett und las erneut die Aufgabenstellung
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